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Der barmherzige Hügel
Diese Biografie ist eigentlich keine: Das Buch handelt von einer jungen Frau, die sich vor 70 Jahren das Leben genommen hat. Sie beschreibt ihr Leiden am Leben aber so eindrücklich, dass es gestern hätte sein können. Als Lore Berger 22 Jahre alt war, schrieb sie einen Roman und nahm sich das Leben: Sie sprang vom Wasserturm auf dem Bruderholz. Dieses Buch enthält den Roman «Der barmherzige Hügel», das bisher unveröffentlichte «journal intime» der Autorin und eine Lebensskizze von Lore Berger, geschrieben von Charles Linsmayer.
Es bietet damit ein berührendes Portrait einer überaus verletzlichen, unglücklichen jungen Frau aus unterschiedlichen Perspektiven. Es bleibt offen, ob das tiefe Unglück, das Lore Berger empfindet, wirklich auf die enttäuschte Liebe zurückzuführen ist, oder ob nicht vielmehr das Unglücklichsein mit ihrer grossen Verletzlichkeit, der Düsterkeit der Zeit und dem repressiven Elternhaus zusammenhängt. Denn das Drama spielt sich nicht eigentlich zwischen den jungen Menschen ab, sondern fast ausschliesslich in der Seele der jungen Frau, und dabei spielt es keine Rolle, dass sie 1921 geboren wurde – sie könnte auch 1996 geboren sein und heute 22 Jahre alt werden. Lore Berger litt an Magersucht. Sie schreibt, sie sei in einen Hungerstreik getreten, weil sie sich nach dem Tod gesehnt hatte. Mit Hilfe von Bluttransfusionen wird Lore zurück ins Leben geholt, ihr Haar wird wieder füllig, hübsch und blond – doch es ist eine scheinbare Genesung. Kurz nach Vollendung ihres Romans stürzt sie sich vom Wasserturm.
Zurückgelassen hat sie ein Buch und ein Tagebuch, das exemplarisch von der Suche eines jungen Menschen nach dem Leben erzählt. «Soll alles, Kampf und Sieg und Niederlage, ganz vergebens, ganz vergänglich sein?», schreibt sie und: «Versuchen muss ich, ob ich da nicht irgendeine Türe finde, die zur Wahrheit führt, einen Schlüssel zu Gott, einen Schlüssel zum Menschen? Wozu? Wozu da sein? Ich nehme an, um zu erkennen.» Sie selbst bezeichnete die Zeit, in der sie lebte, als «böse». Eine Zeit und eine gesellschaftliche, familiäre und politische Konstellation, die auf sensible, hellhörige Menschen wie Lore Berger verheerend wirkte – vielleicht eine Zeit wie die heutige. Hermann Hesse erkannte das sofort. 1944 schrieb er nach der Lektüre von «Der barmherzige Hügel» in einem Brief an die Mutter: «Ein einziger, echter, wirklicher Mensch in diesem Kreis hätte vielleicht genügt, um sie nicht verzweifeln zu lassen.»
Lore Berger: Der barmherzige Hügel. Eine Geschichte gegen Thomas. Ergänzt um Fragmente aus dem Journal intime der Autorin. Herausgegeben und mit einer Lore-Berger-Biographie versehen von Charles Linsmayer. Baeschlin, 280 Seiten, 30.90 Franken; ISBN 978-3-85717-271-7
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783857172717
Buchtipp zum Wochenkommentar vom 20. Juli 2018: Fünf Lebensbilder an Stelle eines Wochenkommentars
Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier: