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Das Bill-Gates-Problem
Die Geschichte von Bill Gates als Gründer und Chef von Microsoft ist bekannt. Gates hat mit einer Mischung aus Genialität, Arroganz und Angriffslust Microsoft zur grössten und wichtigsten Softwarefirma der Welt gemacht. Seit der Jahrtausendwende (und damit seit der grossen Wettbewerbsklage gegen Microsoft) tritt Gates nicht mehr als Software-Manager in Erscheinung, sondern nur noch als Philanthrop: Er versprach, seine Kampfkraft nicht mehr gegen Konkurrenten einzusetzen, sondern nur noch gegen Krankheit, Hunger und Armut auf der Welt. Seine Stiftung, die Bill & Melinda Gates-Foundation, setzt sich seither ein für die Ausrottung von Malaria oder Kinderlähmung in Entwicklungsländern. Bis Anfang 2023 hat die Stiftung etwa 80 Milliarden Dollar gespendet. Das Geschäftsgebaren von Gates geriet ob der schieren Grösse dieser Spenden in Vergessenheit. Wie durch Zauberhand hat sich das Image von Bill Gates verwandelt: Er wurde vom gierigen, kaltherzigen, tyrannischen Monopolisten zu einem «Philanthropen der leisen Töne» und einer «freundlichen, mitfühlenden und unaufdringlichen» Führungsperson. So zitiert Tim Schwab in seinem kritischen Buch die amerikanischen Medien.
In seinem Buch zeigt Tim Schwab, wie die Wohltätigkeit bei Gates funktioniert. Seine Stiftung spendet das Geld nicht einfach armen Menschen, die dann darüber entscheiden können, wie sie es einsetzen. Gates versammelt vielmehr eine kleine Schar von Beratern und Experten und entscheidet dann, welche Probleme seine Zeit, Aufmerksamkeit und Geldmittel wert sind und welche Lösungen er damit anstreben will. Dann «pumpt die Gates-Foundation Geld in Universitäten, Denkfabriken, Nachrichtenredaktionen und Interessenvertretungen, wobei diese sowohl einen Scheck als auch eine Checkliste mit den zu erledigenden Dingen erhalten», schreibt Schwab. «Und schon hat Gates eine Echokammer voller Befürworter geschaffen, die den politischen Diskurs in die Richtung seiner Ideen lenken.» Die Ergebnisse seien «verblüffend».
In seinem Buch wirft Schwab der Gates-Foundation vor, dass sie vor allem unkritische Abhängigkeiten schafft. «In diesem höchst unausgewogenen, einseitigen Diskurs» gebe es «es wenig Raum für eine ernsthafte öffentliche Debatte». Bill Gates spende nicht einfach nur Geld, um Krankheiten zu bekämpfen oder Bildung und Landwirtschaft zu fördern. «Er nutzt sein riesiges Vermögen, um politischen Einfluss zu erlangen und die Welt nach seinen eng gefassten Vorstellungen umzugestalten», kritisiert Schwab. Bill Gates sei in Wirklichkeit kein Philanthrop, sondern «ein Machthaber», die Gates-Foundation keine Wohlfahrtseinrichtung, sonder «in Wahrheit eine politische Organisation», ein «Werkzeug, mit dem Bill Gates an die Hebel der öffentlichen Politik gelangen» wolle.
Ein Effekt davon: Die Projekte der Stiftung werden auch von vielen Regierungen unterstützt. «Es sind unsere Steuerabgaben, die Gates’ Wohlfahrtsimperium massiv subventionieren; dennoch sonnt sich Bill Gates allein in dem Ruhm und kann mit unserem Geld faktisch nach seinem Gutdünken schalten und walten», schreibt Schwab. Das Magazin «Forbes» habe Bill Gates jahrelang auf der Liste der zehn mächtigsten Personen der Welt geführt, «doch weil er Macht im Gewand der Philanthropie ausübt, unterziehen wir diese Macht keiner Prüfung und stellen sie nicht infrage».
Das ist der Kernpunkt der Kritik von Schwab an der Bill & Melinda Gates-Stiftung. In den Vereinigten Staaten belohnt die Regierung wohltätige Spenden mit Steuererleichterungen. Die Idee dahinter: Wohltätigkeit soll dem Staat (und damit den Steuerzahlern) Arbeit abnehmen. Diese Steuervergünstigungen sind den reichen Spendern vorbehalten. Laut dem ehemaligen US-Arbeitsminister Robert Reich entgehen der Staatskasse der Vereinigten Staaten aufgrund dieser Steuererleichterungen jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar an Steuereinnahmen. Schätzung gehen davon aus, dass Superreiche durch Philanthropie Steuererleichterungen von bis zu 74 Prozent erzielen können. Das bedeute, dass jeder Dollar, den ein Multimilliardär spendet, ihm persönlich bis zu 74 Cent in Form von Steuerersparnissen einbringe, schreibt Schwab: «Wir, die Steuerzahler, subventionieren die Gates-Foundation massiv». Anders als in der Schweiz und in der EU gibt es offenbar wenig klare Regelungen. Der US-Kongress habe sich zuletzt im Jahr 1969 mit den Regeln für Privatstiftungen, schreibt Schwab. «In den letzten fünfzig Jahren haben sich philanthropische Aktivitäten erheblich weiterentwickelt, die Gesetze nicht.» Er kritisiert, dass durch die Steuervergünstigungen für Philanthropen dem Staat massiv Steuereinnahmen entzogen werden und das gespendete Geld gleichzeitig aus der öffentlichen Kontrolle verschwindet.
In seinem Buch seziert Schwab förmlich die Aktivitäten der Stiftung von Bill Gates. Er diskutiert dabei auch die Verschwörungstheorien rund um Gates (die allermeisten sind haltlos) und die Rolle von Bill Gates bei der Pandemiebekämpfung (hier ist er deutlich kritischer). Unter dem Strich sind es drei Vorwürfe, die Schwab immer wieder erhebt. Der erste betrifft die geschilderte Steuerersparnis, die Gates über seine Stiftung erzielt. Der zweite ist eng damit verbunden: Es ist die mangelnde Transparenz der Stiftung. Sie will einerseits im Sinne des öffentlichen Wohls handeln, legt aber andererseits nur wenig Internat offen und ist niemandem Rechenschaft schuldig. Der dritte Punkt betrifft die Rolle, welche die Empfängerinnen und Empfänger der Anstrengungen in der Dritten Welt spielen: Sie haben nichts zu sagen. Schwab schreibt, bei den Programmen der Stiftung würden die bedürftigen Menschen nicht nach ihrer Meinung gefragt. Sie hätten keine Stimme, sie könnten die Hilfe nicht selbst gestalten, sie würden nicht einbezogen und könnten deshalb die Hilfsprogramme nicht zu ihrer eigenen Sache machen.
Der Ton des Buchs ist zuweilen sehr angriffig, ja sogar feindlich. Das stört beim Lesen. Wie präzise und vollständig die Recherche über die Abläufe in der Stiftung ist, lässt sich schwer beurteilen. Was sicher zutrifft, ist das Problem, dass Stiftungen wie die von Bill und Melinda Gates viel Geld (und damit Macht) der demokratischen Kontrolle entziehen. In den USA ist das von vielen Politikern durchaus erwünscht: Sie trauen privaten Managern mehr Effizienz und Gestaltungskraft zu als dem Staat. In der Schweiz sind die Verhältnisse deutlich anders: Hier müssen Stiftungen nicht nur sehr viel offener Rechenschaft ablegen, der Staat spielt zum Beispiel über Forschungsprogramme auch eine deutlich aktivere Rolle als in den USA. Alles in allem ein lesenswertes Buch, das mindestens in Bezug auf Milliardäre zu denken gibt.
Tim Schwab: Das Bill-Gates-Problem. Der Mythos vom wohltätigen Milliardär. S. Fischer Verlag, 592 Seiten, 40.90 Franken; ISBN 978-3-10-397165-1
Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783103971651
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