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Bit Rot. Berichte aus der sich auflösenden Welt

Publiziert am 12. Dezember 2019 von Matthias Zehnder

1991 hat er in «Generation X» ebendieser Generation ihren Namen gegeben. «Microsclaven» (1995) und «Girlfriend in a Coma» (1997) werden von britischen «Guardian» zu den Büchern gezählt, die jeder gelesen haben muss. Es sind frühe Beispiele einer «Cyber-Literatur», von Büchern also, die sich mit der digitalen Welt und ihren Protagonisten und Programmierern auseinandersetzen. Der Aufbau-Verlag hat jetzt unter dem Titel «Bit Rot» eine Sammlung kürzerer Texte von Douglas Coupland veröffentlicht. «Bit Rot» heisst wörtlich «Bit-Verwesung» und bezeichnet den Datenverfall, der sich beim Verschleiss eines Speichermediums einstellt. «Ausserdem», schreibt Coupland, beschreibe der Ausdruck «sehr treffend, wie sich mein Gehirn angefühlt hat, seit ich ab dem Jahr 2000 obsolete, schwächelnde Neuronen und Synapsenverbindungen abbaute und verbesserte, unerwartete Neue bildete.»

Einige der Texte sind das Resultat der Beschäftigung von Douglas Coupland mit dem amerikanischen Medientheoretiker Marshall McLuhan, bekannt für seinen Satz «Das Medium ist die Botschaft». Das bedeutet übrigens nicht, dass in der Mediengesellschaft die Medien zum Inhalt werden, es meint, dass ein Medium immer ein anderes Medium zum Inhalt hat. Aber das ist eine andere Geschichte. Zurück zu Douglas Coupland: Er Coupland schafft es wie kein Zweiter, das Lebensgefühl der Internetgesellschaft in wenige Worte zu fassen. Dabei entstehen Sätze, die man ab liebsten dreimal unterstreichen oder gleich abschreiben und ausdrucken würde. Etwa: «Es ist ein Charakteristikum unserer neuen Zeit, dass es noch nie so leicht war, Individualität zu versenden, und Individualität zugleich immer unerreichbarer zu werden scheint.» Oder: «Es heisst, Goethe sei der letzte Mensch gewesen, der alles über die Welt wusste, was es zu seinen Lebzeiten über die Welt zu wissen gab. In diesem Sinne wäre Goethe eine Art Proto-Internet, doch nun lebt er weiter in einer 2.0 Version namens Cloud. Wir alle sind jetzt Goethe.» Mit solchen und ähnlichen Sätzen revitalisiert Coupland ein Cyberspace-Gefühl, wie wir es aus den Anfangszeiten des World Wide Web kannten, als das Web noch die Last Frontier war, ein Raum voll ungeahnter Möglichkeiten. Das Buch sagt deshalb, obwohl (oder gerade weil) es kein Sachbuch ist, sehr viel über den Traum vom freien Internet aus.

Douglas Coupland: Bit Rot. Berichte aus der sich auflösenden Welt. Verlag Blumenbar (Aufbau Verlag), 256 Seiten, 34.90 Franken; ISBN 978-3-351-05070-2

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783351050702

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 29. November 2019: Roboter erobern den Journalismus – aber anders, als Sie denken

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

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