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Becoming

Publiziert am 28. Dezember 2018 von Matthias Zehnder

Dieses Buch hat mich überrascht. Eigentlich wollte ich ja nur etwas hinter die Kulissen des Weissen Hauses unter Barack Obama schauen. Die Lebensgeschichte der Michelle Obama schien mir etwas zu sein für eine Oprah Winfrey-Talkrunde. Doch dann hat mich das Buch gepackt. Michelle Obama schildert darin, wie sie im Schwarzenviertel South Side in Chicago aufgewachsen ist. Ihre Vorfahren waren schwarze Sklaven aus dem Süden der USA, die nach Chicago geflüchtet waren. Ihre Grosseltern und ihre Eltern litten unter der Rassendiskriminierung. Ihr Vater, ein Handwerker, konnte nie eine gut bezahlte Stelle auf dem Bau annehmen, weil er als Schwarzer nicht Gewerkschaftsmitglied werden konnte. Michelle Obama beschreibt eindringlich, wie hart ihre Eltern arbeiteten, damit ihre Kinder, Michelle und ihr Bruder Craig, gute Schulen besuchen konnten. Beide besuchten Princeton University, Michelle studierte danach Jus an der Harvard University und kehrte als Anwältin zurück nach Chicago. Da arbeitete sie zunächst in der Anwaltskanzlei Sidley & Austin – und lernte dabei einen interessanten Praktikanten kennen, den alle als hochtalentierten Juristen handelten. Sein Name war Barack Obama… In den letzten Tagen seines Praktikums begannen die beiden eine Beziehung, die danach auf eine harte Probe gestellt wurde. Denn Barack musste nach Harvard zurückkehren und sein Studium abschliessen, Michelle arbeitete weiter in Chicago. Zunächst bei der Anwaltskanzlei, danach im öffentlichen Dienst bei der City of Chicago. Michelle beschreibt, wie sie als schwarze Frau immer in einer doppelt unterprivilegierten Position war. Wie sie immer alles doppelt so gut machen musste, um halb so weit zu kommen – nur um sich dennoch immer wieder zu fragen: Bin ich gut genug? Genüge ich den Ansprüchen? Sie versucht, möglichst gute Arbeit zu leisten, gleichzeitig eine gute Mutter zu sein und Barack eine gute Partnerin. Sie beschriebt die Zerrissenheit zwischen den Ansprüchen, die wir alle nur allzu gut kennen.

Und dann bietet das Buch auch jenen Blick hinter die politischen Kulissen, dessentwegen ich es zur Hand genommen habe: Michelle Obama beschreibt die Primärwahlen, wie sie Barack zunächst in Iowa, dann im ganzen Land unterstützte, wie er sich gegen Hillary Clinton durchsetzte und zum Präsidentschaftskandidaten für die demokratische Partei ernannt wurde, wie der Wahlkampf schmutziger und härter wurde, wie er sich schliesslich gegen John McCain, den Kandidaten der Republikaner, durchsetzte und zum ersten schwarzen Präsidenten Amerikas gewählt wurde. Sie beschreibt die ersten Besuche im Weissen Haus, wie sie von Geroge W. Bush und seiner Frau Barbara herzlich willkommen geheissen wurden, wie sie das Weisse Haus einrichteten, wie schwierig es war, ihren beiden Töchtern Malia und Sasha eine halbwegs normale Schulzeit zu organisieren. Sie beschreibt das Leben im Weissen Haus, die Staatsbesuche, die Empfänge, die Arbeit ihres Mannes.

Michelle Obama beschreibt, wie ihr Mann versuchte, den Ansprüchen gerecht zu werden. Wie er unermüdlich arbeitete, sich durch Unterlagen und Bücher las, um am Ende jedes Tages sich zehn Briefe von Bürgern geben zu lassen. Obama las alles und betrachtete es als Teil der Verantwortung, die mit dem Eid einherging. «Er hatte einen harten und einsamen Job – den härtesten und einsamsten der Welt», schreibt Michelle, «aber er wusste, dass er die Verpflichtung hatte, offen zu bleiben, nichts auszuschliessen.» Spätestens bei diesen Worten fällt einem auf, wie gross die Differenz zu jenem Mann ist, der heute unter dem Dach des Weissen Hauses lebt.

Auch über Donald Trump schreibt Michelle Obama. Sie verurteilt ihn nicht in erster Linie politisch, sondern vor allem als Menschen. Sie beschreibt, wie Trump die Menschen aufhetzte gegen die Obamas, wie er die Geburtsurkunde ihres Mannes in Zweifel zog und ihre Familie verspottete. «Donald Trump hat mit seinen lauten und rücksichtslosen Anspielungen die Sicherheit meiner Familie gefährdet. Und dafür würde ich ihm nie verzeihen», schreibt Michelle. Barack und sie waren sich immer bewusst, dass ihre Anwesenheit im Weissen Haus für einige Amerikaner eine Provokation war. «Als Minderheiten im ganzen Land allmählich begannen, eine immer wichtigere Rolle in Politik, Wirtschaft und Unterhaltung zu übernehmen, war unsere Familie zum prominentesten Beispiel geworden. Unsere Anwesenheit im Weissen Haus wurde von Millionen von Amerikanern gefeiert, aber sie trug bei anderen auch zu einem reaktionären Gefühl von Angst und Ressentiments bei. Der Hass war alt und tief und so gefährlich wie eh und je.»

Das alles ist spannend für Polit-Nerds. Es ist grossartig, einen Blick hinter die Kulissen des Weissen Hauses werfen zu können, ja hinter die Stirn und ins Herz der Menschen, die im Weissen Haus arbeiten. An viele der Momente, die Michelle beschreibt, erinnern wir uns noch – und wenn nicht, dann lässt sich die Erinnerung mit Youtube-Videos auffrischen. Etwa der Moment, als Barack Obama an einem Memorial-Service eines weiteren Massakers plötzlich «Amazing Grace» anstimmte. Wirklich inspirierend aber ist der Grundton des Buches: Wenn die Familie zusammenhält, sich alle einsetzen und Du arbeitest und hartnäckig ein Ziel verfolgst, dann kannst Du nach den Sternen greifen. «Becoming» ist für mich deshalb das perfekte Buch, um ein Jahr zu beenden – und ein neues Jahr zu beginnen. Lesen Sie gut.

Michelle Obama: Becoming. Meine Geschichte. Goldmann, 544 Seiten, 37.90 Franken; ISBN 978-3-442-31487-4

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783442314874

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Buchtipp zum Wochenkommentar vom 28.12.2018: Was jetzt?

Eine Übersicht über sämtliche Buchtipps samt Link auf den zugehörigen Wochenkommentar finden Sie hier:

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