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An den Ufern der Seine

Publiziert am 29. Juli 2019 von Matthias Zehnder

Nach dem zweiten Weltkrieg, als Deutschland am Boden lag, das russische und das osteuropäische kulturelle Leben zerstört war, Spanien im Faschismus gefangen, Italien mit dem Aufbau beschäftigt und Grossbritannien sich von den Kriegsanstrengungen zu erholen versuchte, konzentrierte sich das kulturelle Leben Europas zehn Jahre lang auf Paris: An den Ufern der Seine nahm der New Journalism seinen Anfang, der die Grenzen zwischen Literatur und Reportage vermischte. Hier entstand das absurde Theater. Maler überwanden den sozialistischen Realismus und loteten die Grenzen der geometrischen Abstraktion aus. Das Action Painting entstand. Philosophen gründeten neue Denkschulen wie den Existenzialismus und gleichzeitig eine politische Partei. Schriftsteller entwickelten den Nouveau Roman. Schwarze Jazzmusiker, die wegen der Rassentrennung ihrer Heimat den Rücken gekehrt hatten, wurden in den Konzertsälen und Clubs von Paris bejubelt. Diesem kulturellen Aufbruch in Paris ist dieses Buch gewidmet: Es ist ein erzählerisches Porträt des Pariser Lebens in der Zeit zwischen 1940 und 1950: eine Rekonstruktion, eine Bildcollage, ein Kaleidoskop von Schicksalen, das auf verschiedenen Quellen und Dokumenten beruht.

Zu den Helden des Buchs gehören natürlich Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, aber auch Samuel Beckett, Albert Camus und Norman Mailer, natürlich spielt Pablo Picasso eine grosse Rolle, aber auch Alberto Giacometti, Alexander Calder und Ellsworth Kelly. Hätte das Buch Töne, wäre Miles Davis zu hören, Boris Vian und Juliette Gréco – und viele mehr. Bei manchen wie Jean Cocteau ist es selbstverständlich, dass sie damals Paris prägten, bei anderen, etwa bei Ernst Jünger oder Irwin Shaw ist es eher überraschend. Agnès Poirier stützt sich bei der Darstellung der Zeit auf Journale und Tagebücher, aber auch viele weitere Quellen wie Zeitungsausschnitte, Archive und Zeitzeugen. Sie schafft es dabei, die Zeit, die Diskussionen und die Strassen von Paris so lebendig zu schildern, dass sie uns Leserinnen und Lesern ein echtes Eintauchen in die Pariser Nachkriegszeit ermöglicht. Das ist nicht nur spannend, sondern schafft auch die Grundlage dafür, die Ideen aus jener Zeit zu verstehen und nachvollziehen zu können. Denn viele dieser Ideen prägen die Kunst und Kultur bis heute.

Agnès Poirier: An den Ufern der Seine. Die magischen Jahre von Paris 1940 – 1950. Klett-Cotta, 508 Seiten, 36.90 Franken; ISBN 978-3-608-96401-1

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783608964011

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