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Alles überall auf einmal

Publiziert am 13. Februar 2024 von Matthias Zehnder

Das grösste Problem der KI ist ihre Bezeichnung: Sie ist nur künstlich. Intelligent ist sie nicht. Dennoch ist die neue Technik eine grosse Herausforderung und bietet viele Chancen. Ihnen widmet sich das neue Buch von Miriam Meckel, Léa Steinacker. Das Schöne dabei ist, dass es darin vor allem um den Menschen geht. Die beiden Autorinnen schreiben: «Es muss immer darum gehen, den Menschen durch Künstliche Intelligenz zu unterstützen, zu bestärken und besser zu machen. ‹Angereicherte Intelligenz› oder ‹maschinelle Nützlichkeit› wären daher bessere Begriffe gewesen für eine Technologie, die ein fantastisches Potenzial birgt und dennoch behandelt werden muss als das, was sie ist – ein Werkzeug.» Klar ist, dass wir noch ganz am Anfang einer Entwicklung stehen, die unsere Vorstellung stark verändern wird. Etwa, was Kreativität und Originalität bedeuten. Oder die Möglichkeit, Wahrheit und Fälschung zu unterscheiden. Die Erwartungen an die eigene Arbeit auf einem sich rasch wandelnden Arbeitsmarkt. Vielleicht bringt die neue KI nach Jahrzehnten der Stagnation eine neue Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Produktivität. Das Buch führt gut verständlich ein in die Geschichte der KI, erklärt neuronale Netze und die generative KI. Es zeigt, was es bedeutet, wenn Bots mit Bots sprechen, führt ein in die Welt von Deepfakes und Desinformation und zeigt die politischen Folgen auf. Es diskutiert die zentralen Fragen rund um KI, also die Frage nach der Intelligenz der Technik und einem allfälligen Bewusstsein. Kurz: Das Buch ist eine gut verständliche und nützliche Einführung, die immer klar macht, dass es auch in Zukunft vor allem auf eines ankommt: auf den Menschen.

Allerdings stellt sich dabei die Frage, was es heisst, Mensch zu sein, in einer Zeit, in der KI-Systeme uns kognitiv möglicherweise überlegen sind. «Wie wird es uns gelingen, die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine so zu gestalten, dass sich Chancen für alle Menschen, Gruppierungen und gesellschaftlichen Schichten eröffnen?», fragen die beiden Autorinnen. «Und wie können wir sicherstellen, dass der Mensch weiterhin darüber mitentscheidet, wann, wie und wo KI-Systeme eingesetzt werden?»

Als Metapher verwenden Meckel und Steinacker den Film «Everything Everywhere All at Once» mit der unvergleichlichen Michelle Yeoh. Es sei eine Metapher für «die Zeit, in der wir uns bewegen, für die Komplexität der Veränderung und unsere zeitweilige menschliche Überforderung und Unfähigkeit, diese Veränderungen zu verstehen und adäquat in Gedanken und Worte zu fassen.» Denn seit ChatGPT lanciert worden ist, ändert sich «alles überall auf einmal». Nur ohne Michelle Yeoh. Wie der Film in seiner rasanten Optik unsere Sinne überflutet, so werde «die generative KI einen Tsunami an Inhalten auslösen und unsere vernetzte Kommunikationswelt durcheinanderwirbeln», schreiben die beiden Autorinnen. «Empfinden wir das Internet schon jetzt nicht immer nur als Bereicherung, sondern manchmal auch als überlastend? Dann kann die Weiterfahrt stürmisch werden.» Die KI werde, fast wie im Film, die Vorstellungskraft erweitern: «Sie wird innovative Produkte schaffen, die Probleme lösen, von denen wir noch nicht mal wussten, dass wir sie haben, und sie wird ganze Industriezweige neu ordnen.» Künstliche Intelligenz habe «das Potenzial, unser bisheriges Wirtschaftsmodell so aussehen zu lassen, wie es ist: an vielen Stellen veraltet und dysfunktional.»

Sicher ist für Meckel und Steinacker: «Der Mensch muss zentraler Teil der Wertschöpfungskette bleiben. Vor allem aber muss er selbst massgeblich über seine Zukunft entscheiden.» Dann werde die KI «zur Co-Pilotin auf unserem Weg in die Zukunft der Mensch-Maschine-Kollaboration». Allerdings fordert uns die KI gerade gewaltig heraus. Sie kann Menschen manchmal so gut imitieren, dass Verwechslungsgefahr besteht. «Als Allzwecktechnologie stellt uns KI vor zahlreiche gesellschaftliche Grundsatzfragen. Bleibt das Wissen über sie auf ein paar elitäre Zirkel beschränkt, sind viele von uns anfällig für Risiken der neuen Technologie.»

Das wollen  Meckel und Steinacker mit ihrem Buch verhindern. Sie schreiben, die neuen KI-Systeme würden zu «Dampfmaschinen des Geistes, unseren kognitiven GPS-Systemen oder einfach zu Klettergerüsten fürs Denken». Es sei Zeit, «die ersten Stufen des Gerüsts zu erklimmen, Erfahrungen damit zu machen, um vorbereitet zu sein auf das, was kommen wird, und es im besten Sinne mitzugestalten.»

Das Buch ist gut lesbar und fasst den aktuellen Wissenstand rund um KI zusammen, ohne die Technik zu verherrlichen und hochzujubeln. Die beiden Autorinnen referieren die aktuelle Forschung und verbinden sie mit ihren persönlichen Erfahrungen. Das Buch ist damit ein guter Einstieg in die Welt der KI und bietet die richtige Mischung von inspirieren, anleiten und warnen.

Miriam Meckel, Léa Steinacker: Alles überall auf einmal. Wie Künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir dabei gewinnen. Rowohlt, 400 Seiten, 36.90 Franken; ISBN 978-3-498-00710-2

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783498007102

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