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1923 – Kampf um die Republik

Publiziert am 1. März 2023 von Matthias Zehnder

1923 war ein Katastrophenjahr für Deutschland. Vier Jahre nach dem Ersten Weltkrieg ächzt das Land unter den Reparationszahlungen und kann sie nicht mehr leisten. Frankreich besetzt deshalb das Ruhrgebiet. Es kommt zur Hyperinflation: Statt in Mark rechnet die Deutsche Bevölkerung in Billionen Mark. In Hamburg kommt es zum Aufstand der KPD. In München putschen Hitler und Ludendorff. Und trotzdem fällt das Land nicht auseinander. Grund sind nicht etwa besonders starke Strukturen, sondern eine «Handvoll entschlossener demokratischer Politiker um den Reichskanzler und Aussenminister Gustav Stresemann», schreibt Ralf Georg Reuth in seinem Buch über das deutsche Schicksalsjahr. Ihnen gelingt es, zusammen mit Grossbritannien und den Vereinigten Staaten die Reparationen und die Ruhrfrage akzeptabel zu regeln und die Inflation durch die Einführung einer neuen Währung zu beenden. In seinem Buch zeigt Reuth, wie eine Handvoll Demokraten es schafften, den «Kampf um die von allen Seiten aufs Ärgste bedrohte Republik» zu gewinnen. Es war eine «politische Glanztat, die ihnen sogar im Lager der Weltkriegsgegner Respekt und Anerkennung einbrachte». Eine Glanztat, die uns bis heute daran erinnert, wie wichtig einzelne Menschen, Besonnenheit und Mut in einer Demokratie sein können.

1923 kämpfte Deutschland um seine Existenz. Eine Handvoll mutige Männer bewältigte die Krise. Menschen, nicht gesellschaftlichen Strukturen bestimmten 1923 den Lauf der Geschichte. Ralf Georg Reuth schreibt, dass auch und gerade der Aufstieg von Adolf Hitler «samt seinem Vernichtungsantisemitismus» strukturell nicht zwangsläufig gewesen sei. Der Aufstieg war vielmehr untrennbar verbunden mit der Krise. Als sich Deutschland erholte, als jene Jahre begannen, die als die «Goldenen Zwanziger» in die Geschichte eingingen, versank die antisemitisch-völkische Partei in der Bedeutungslosigkeit. Ralf Georg Reuth schreibt, das Jahr 1923 sei deshalb ein «Lehrstück für Politik»: Es zeigt, dass «politische Radikalisierung und wirtschaftliche Not zwei Seiten einer Medaille» sind. Im Umkehrschluss folgt laut Reuth daraus, dass «Demokratie halbwegs stabile wirtschaftliche Verhältnisse braucht». Wenn Stabilität und Wohlergehen nicht gegeben sind, vergrössern sich die Gräben zwischen den Parteien und sogar in den Parteien selbst. «Wie schwer es dann ist, diese noch zu überbrücken, zeigt der Blick auf die damalige Sozialdemokratie, für die es in der Regierungsverantwortung nicht möglich war, ihre Flügel zusammenzuhalten.» Die Radikalisierung der Linken führte zu einer Radikalisierung der Rechten. Die nationalsozialistische Bewegung hätte laut Reuth «ohne ihren kommunistisch-bolschewistischen Konterpart nie die Fahrt aufgenommen, die sie im Herbst 1923 aufnahm». Überhaupt stellt sich in diesem Kontext die Frage, inwieweit Hitlers wahnwitzige Weltanschauung überhaupt ohne Bolschewismus und Marxismus gedacht werden kann.

Der Blick zurück zeigt denn auch, dass schon 1923 die europäischen Demokratien nicht in der Lage waren, den Konflikt zwischen Deutschland und Frankreich ohne Hilfe aus Übersee zu lösen. Damals wie heute, schreibt Ralf Georg Reuth, sind es «nationale Egoismen bis hin zu brutalem Hegemonialstreben», welche die europäische Geschichte prägen und die einzelnen Länder an den Abgrund führen. Es lohnt sich deshalb, mit Reuth auf das Jahr 1923 zurückzuschauen, auf Zeiten von Inflation und Krieg in Europa. Reuth versucht dabei in seinem Buch, das komplexe Geschehen von damals in seiner ganzen Dimension zu erfassen. Er analysiert die politische Situation in Deutschland, die Aussenpolitik, aber auch die finanz- und wirtschaftspolitischen Aspekte. Dazu stellt er das Jahr in sich jeweils zeitlich leicht überlappenden Kapiteln chronologisch dar.

Den Abschluss macht ein Kapitel über den Weg aus der grossen Krise. Es umfasst die Zeit von Januar 1924 bis September 1926. In dieser Zeit überdeckten die aufstrebende Wirtschaft, der steigende Lebensstandard und die zunehmende Zufriedenheit der Menschen die tiefen Risse in der Gesellschaft. Wir kennen diese Jahre als «Goldene Zwanziger». Dabei überstrahlt der Glamour der Metropole Berlin den Rest des Reiches. Da waren die Menschen ganz einfach zur Normalität zurückgekehrt. Sie lebten wieder. «Nichts, aber auch gar nichts deutete in dieser Zeit auf einen Hitler, auf einen Zweiten Weltkrieg oder gar auf einen Holocaust hin», schreibt Reuth. «Noch bei den Reichstagswahlen im Mai 1928 kam die NSDAP auf ganze 2,6 Prozent. Die antisemitisch-weltverschwörerische Hassagitation des ehemaligen Weltkriegsgefreiten und seiner Gefolgsleute stiess auf keinen Widerhall bei den Deutschen.» Doch dann folgte der Schwarze Freitag von 1929 und die Weltwirtschaftskrise. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ralf Georg Reuth: 1923 – Kampf um die Republik. Piper, 368 Seiten, 39.50 Franken; ISBN 978-3-492-05932-9

Erhältlich ist das Buch hier: https://www.biderundtanner.ch/detail/ISBN-9783492059329

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