Kommentar zum Stellenabbau bei CH Media
CH Media, das Joint Venture von AZ Medien und NZZ Regionalmedien, will innert zwei Jahren 200 (!) Vollzeitstellen abbauen. Betroffen von den Massnahmen sind alle Bereiche des Unternehmens, also auch die Redaktionen. Ich habe gegenüber der «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens die Abbaupläne kommentiert. Hier die ausführliche, schriftliche Fassung. Kurz gesagt: Es ist noch nicht vorüber, denn das Problem der Schweizer Medien sind nicht Überkapazitäten, sondern Unterfinanzierung.
200 Vollzeitstellen bei 2200 Mitarbeitern – damit verliert fast jeder zehnte Mitarbeiter von CH Media die Stelle. Überraschend kommt das nicht: In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Schweizer Journalist» sagt Peter Wanner, VR-Präsident von CH Media: Machen wir uns nichts vor: Man kann nicht zwei Unternehmen zusammenführen und so tun, als gäbe es keine Doppelspurigkeiten und Überschneidungen. Wir kommen nicht um einen Personalabbau herum. («Schweizer Journalist» 10-11/2018, S. 22) Auf die Frage, ob CH Media auch auf den Redaktionen abbauen werde, antwortet Wanner: Es wäre blauäugig zu sagen, dass dies nicht der Fall sein wird.
200 Vollzeitstellen sind für die Schweizer Medienbranche sehr viel. Dennis Büher bezeichnet den Stellenabbau denn auch als «November-Massaker»:
«Integrationsprogramm» als schöne Umschreibung eines regelrechten November-Massakers (als #Tamedia 2009 «nur» 79 Vollzeitstellen abbaute, sprach alle Welt vom «Mai-Massaker»): Der Fusionskonzern CH Media baut innert zwei Jahren 200 (!) Vollzeitstellen ab. https://t.co/xYJdeul6ZQ
— Dennis Bühler (@DennisBuehler) November 15, 2018
Die «Tagesschau» des Schweizer Fernsehens SRF hat mich zu dem grossen Stellenabbau befragt. In der Tagesschau selbst kommt jeweils nur eine Antwort von vielen. Hier deshalb alle Fragen und meine Antworten dazu:
Das Joint Venture zwischen AZ-Medien und NZZ baut 200 Vollzeitstellen ab – Sind sie überrascht?
Nein, das war zu erwarten, wenn auch nicht unbedingt in diesem Umfang. Wenn sich zwei Medienhäuser zusammenschliessen, dann wollen sie Synergieeffekte abschöpfen. Bei Medien heisst das immer: Stellen abbauen. Denn die Lohnkosten machen in einem Medienhaus den grössten Anteil aus.
Bei einer Fusion verspricht man sich Synergiegewinne, lassen sich 10 Prozent der Stellen im Backup (Verkauf / IT / HR etc.) einsparen ohne dass es auch beim Print zu einem Abbau kommt?
Ich weiss nicht, wo CH Media genau abbaut. Offenbar betrifft es alle Bereiche, auch die Redaktionen. Das geht sicher nicht nur in einem Bereich, dafür sind es zu viele Stellen.
Welche Auswirkungen erwarten Sie auf die Qualität der einzelnen Zeitungstitel?
Wenn man Doppelspurigkeiten abbauen kann, dann merkt der Kunde zumindest theoretisch davon nichts. Das ist ja der Witz von Synergien. Sicher ist, dass die zentrale Redaktion mehr Einzeltitel bedient. Ausland, Inland, nationale Wirtschaft, Kultur und Sport kommen aus einer Zentralredaktion. Tamedia und CH Media sagen, das fördere die Qualität. Ich nenne es Hors-Sol-Journalismus: Sachlich vielleicht gute Inhalte, aber regional nirgendwo mehr verwurzelt und ohne regionale Perspektive.
Wie viele Zeitungstitel könnten verschwinden?
Davon ist im Moment keine Rede. CEO Axel Wüstmann schliesst aber nicht aus, dass nicht dereinst auch Titel verschwinden werden. Das Problem ist, dass den meisten Medien in der Schweiz das Finanzierungsmodell abhanden gekommen ist.
Bei den Zeitungen gehen die Inserate momentan pro Jahr zwischen 10 und 15 Prozent zurück. Reichen diesbezüglich Einsparungen von 10 Prozent um diese langfristig zu kompensieren?
Die Frage ist: Was heisst langfristig? CH Media selbst sagt: Das ist der Plan bis 2020, danach schauen wir weiter. Die Schlüsselfrage wird sein, ob die Schweizer Verlage bis dahin einen Weg gefunden haben, online Geld zu verdienen – oder ob ein neues Mediengesetz dabei hilft, Journalismus in der Schweiz zu finanzieren.
Sparmassnahmen / Fusionen / Abbau bei nahezu allen Zeitungsverlagen in der Schweiz, welches Signal sendet die Branche für potentielle Werbekunden aus?
Es sind sicher nicht Aufbruchsignale. Die Botschaft ist nicht: Wir sind stark und gut. Und das ist das Problem. Die Branche befindet sich in einer Abwärtsspirale. Gleichzeitig boomen digitale Angebote der globalen Player. Aber dieses Geld fliesst aus der Schweiz ab. Die Zukunft der Medien in der Schweiz hängt davon ab, ob wir einen Weg finden, Journalismus in der Schweiz zu finanzieren und zu unterstützen. Es braucht mehr als nur die indirekte Presseförderung, also die Subventionierung der Zustellung gedruckter Zeitungen. Das ist, wie wenn man nach der Erfindung der Eisenbahn den Hafer subventioniert hätte. Es braucht neue Finanzierungsmodelle, sei das nun ein Medien-Voucher, wie ihn Roger Schawinski (hier) vorgeschlagen hat, sei das eine Förderung der Medien, die sich am Fördermodell der Landwirtschaft orientiert, seien das Umlagerungen aus einer Digitalsteuer.
Aus meiner Sicht hat das ganze übrigens so ausgesehen:
Basel, 15. November 2018, Matthias Zehnder mz@matthiaszehnder.ch
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3 Kommentare zu "Kommentar zum Stellenabbau bei CH Media"
Ich glaube, ich lese nicht richtig:
„ … oder ob ein neues Mediengesetz dabei hilft, Journalismus in der Schweiz zu finanzieren.“
Das wäre doch exakt das, was man in der Wirtschaft zu recht als falschen Weg erkannt hat: Strukturerhalt statt Wandel. Landwirtschaft, Bergbau, z.T. Gesundheitswesen und Hotellerie winken freundlich grüßend.
Und dann noch „… denn das Problem der Schweizer Medien sind nicht Überkapazitäten, sondern Unterfinanzierung.“
In den allermeisten Fällen kommt Unterfinanzierung woher? Davon, daß man zuviel (finanzielle) Mittel benötigt, um die generierten Kosten zu decken. In personalintensiven Sparten bedeutet das schlicht und einfach zuviel Personal, was nichts anderes ist als Überkapazität.
Dritter Punkt: Auch Matthias Zehnder war gegen no-billag. Von der de-facto-Mediensteuer für die öffentlich-rechtliche SRG fließt kein Batzen in den Zeitungsjournalismus, dafür in ziemlich viel Fernseh-Unsinn, nicht wenig davon ins halbkriminelle Fußballgeschäft. War vielleicht doch falsch, das Anti-no-billag-Te-Deum mitzusingen?
1. Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Journalismus und irgend einem beliebigen Produktionszweig (zum Beispiel der Textilindustrie): Die direkte Demokratie braucht Journalismus bis in die Kapillaren des Landes.
2. Nein, die Unterfinanzierung kommt unter anderem daher, dass in der Schweiz zwar viel Geld mit Medien verdient wird, dieses Geld aber zu einem grossen Teil aus der Schweiz abfliesst. Google macht über eine Milliarde Franken Werbeumsatz in der Schweiz, Facebook ist auf gutem Weg dazu.
3. Der Staat unterstützt Zeitungsverlage mit der indirekten Medienförderung. Das wirkt leider strukturerhaltend, weil es nur dem Vertrieb von gedruckten Medien zu Gute kommt. Die No Billag-Diskussion müssen wir hier nicht noch einmal führen, oder? Drei Viertel der Stimmbevölkerung haben sich klar für einen starken, elektronischen Service Public ausgesprochen. Die SRG muss 50% der Gebühren in Information investieren, Fussball-Eskapaden à la Champions League liegen da nur in Minimaldosen drin (und so, wie der FCB und die Schweizer Nati im moment spielt, schauen die Schweizer wohl sowieso bald lieber Rugby).
Mich beschäftigt die Frage, wie es wohl Journalist*innen gehen mag, deren Preis nur zufällig und kaum berechenbar ihrer Leistung entspricht?