Warum für die Einbürgerung der Wille genügen sollte

Publiziert am 20. Januar 2017 von Matthias Zehnder

Die Schweiz steht nicht zu ihren Kindern: Selbst die Enkel von Einwanderern müssen hohe Hürden überwinden, um den Schweizer Pass zu erlangen. Dass widerspricht dem, was die Schweiz ausmacht. Wer die Schweiz wirklich ernst nimmt, sollte alle Hürden für Einbürgerungswillige abschaffen – bis auf eine: sie müssen zur Schweiz gehören wollen. Warum der Wille für die Einbürgerung genügen sollte.

In unserem Land ist jeder willkommen, sei es als Tourist, als Arbeiter. Den Fremden sollten wir auf alle Fälle immer akzeptieren. Etwas Anderes ist es, wenn er in unserem Land bleiben will, wenn er das Bürgerrecht beantragt. Das sagt ein Instruktor der Fremdenpolizei am Anfang des Films Die Schweizermacher von Rolf Lissy aus dem Jahr 1978. Bis heute hat sich daran wenig geändert. Ausser vielleicht, dass die Fremden auch als Arbeitende nicht mehr einfach so willkommen sind.

Diese Woche hat die Hintergrundsendung «Echo der Zeit» darüber berichtet, wie an der Delegiertenversammlung der SVP Luzern in Schenkon am Sempachersee über die Abstimmungsvorlage zur erleichterten Einbürgerung für junge Ausländer der dritten Generation geredet wurde. Was die Innerschweizer SVP-Vertreter ins Mikrophon sagten, hätte aus Die Schweizermacher stammen können.

Schweizer ist man seit immer

Sie gehen mit uns zur Schule, sie geben sich Mühe, aber sie haben doch noch ihre Mentalität, sagte einer der SVP-Delegierten. Ein anderer meinte: Das Schweizersein müsse man sich verdienen, man müsse sich bewähren. Ein Dritter: Im Innersten bleibt man doch der, der man ist. Kurz: Schweizer ist man seit immer – oder wird es nie.

Offenbar ist es mindestens in der Innerschweiz noch so, wie damals, als Emil Steinberger den Assistenten der Fremdenpolizei mimte: Schweizer ist nicht einfach eine äussere Zuschreibung, es ist ein bestimmter, innerer Zustand, ein Charakterzug, eine Mentalität, wie der SVP-Mann in Schenkon sagte. In ihrer Vernehmlassungsantwort an den Bund schrieb die SVP, die Tatsache der Geburt in der Schweiz lasse nicht automatisch auf eine gute Integration schliessen. An der Pressekonferenz der SVP in Bern warnte Nationalrat Andreas Glarner (SVP, AG) vor einer stillen Übernahme unserer Heimat. Bloss: durch was?

Wacker und wehrhaft

Durch das Fremde, natürlich. Glarner warnt wie weiland Schwarzenbach vor der Überfremdung der Schweiz. In Die Schweizermacher trägt der Instruktor der Fremdenpolizei mit seinen Schülern die Adjektive zusammen, die einen Schweizer ausmachen: Neutral, fleissig, solid, bescheiden, charakterfest, senkrecht, zuverlässig, wacker, einfach, integer, ehrlich, wehrhaft, realistisch. Das also ist die Schweizer Mentalität – wenn es nach den Schweizermachern und wohl auch, wenn es nach der Innerschweizer SVP geht.

Diese Art der Argumentation löst zwei gefährliche Folgerungen aus. Die erste ist der Umkehrschluss. Wenn ein Gegenstand dadurch definiert ist, dass er schwarz ist, dann beinhaltet diese Zuschreibung auch, dass alle anderen Gegenstände nicht schwarz sind. Wenn also Schweizer sich dadurch auszeichnen, dass sie fleissig, solid und bescheiden sind, dann liegt der Schluss nahe, dass die Fremden eben nicht fleissig, nicht solid und unbescheiden sind. Es gibt heute noch Schweizer, die in den Ferien in Italien, Portugal oder Kroatien erstaunt sind über prächtige Bauwerke und schicke Menschen. Und es gibt heute noch Schweizer, für die ein fleissiger mazedonischer Gipser und ein brillanter türkischer Mathematiker bemerkenswert sind.

Le Suisse n’existe pas

Die zweite gefährliche Folgerung: Es gibt den Schweizer als solchen, also einen Schweizer Charakter. Das, mit Verlaub, ist Blödsinn. Die Schweiz zeichnet sich nämlich gerade dadurch aus, dass sie keine Nation mit einer gemeinsamen Kultur ist. Basler haben mit Sicherheit mehr Gemeinsamkeiten mit Lörrachern und Grenzachern als mit Locarnesi und Genevois. Und die Genfer fühlen sich Annecy oder Évian sicher deutlich mehr verbunden als Romanshorn oder Poschiavo. Dennoch gehören Locarno, Basel, Genf und Romanshorn zur Schweiz. Sie gehören nicht zur Schweiz, weil sie sich ähnlich sind, weil sie die gleiche Mentalität haben, sondern weil diese Orte sich dazu entschieden haben, zur Schweiz gehören zu wollen.

Basel zum Beispiel ist 1501 nicht aus Gründen der Mentalität oder der inneren Gesinnung der Eidgenossenschaft beigetragen, sondern aus ganz profanen Gründen: Die Stadt brauchte eine Schutzmacht. Unter ihren Partnerstädten hat es für Spott und Kopfschütteln gesorgt, dass die feinsinnigen Basler Handelsherren sich mit den Bauerntölpeln aus den Bergen zusammentun.

Daig mit Hefe aus dem Ausland

Es gibt die Schweizer Mentalität nicht und es hat sie nie gegeben. Die mausarmen Tessiner Spazzacamini, von denen Lisa Tezner in Die Schwarzen Brüder schreibt, sind genauso Schweizer wie die edlen Banquier La Roche in Basel. Wobei zu sagen ist, dass die Tessiner Kaminfegerbuben wahrscheinlich deutlich Schweizerischer sind als die La Roche, die ursprünglich Hebdenstreit hiessen und im 16. Jahrhundert aus Hildrizhausen (Württemberg) nach Basel einwanderten.

Viele ach so typisch schweizerische Familien, die unser Land ausmachen und es geprägt haben, stammen nicht aus der Schweiz, sondern sind eingewandert. Von Christ bis Vischer, von Amerbach über Sarasin bis Wackernagel – in Basel sind gerade die prägenden Familien aus Deutschland und Frankreich zugewandert. Viele von ihnen waren zu Beginn Fremde – so, wie die heutigen Zuwanderer oder Expats. Heute zählen ausgerechnet diese ursprünglich zugewanderten Familien zum Daig, also zur Stadtbasler Oberschicht, welche die Stadt lange Zeit geprägt hat und teilweise bis heute prägt.

Was die Schweiz zusammenhält

Kurz: Den Schweizer gibt es nicht. Es gibt keine Eigenschaft, welche die Schweiz zusammenhält. Die Schweiz hat keine gemeinsame Sprache, keine gemeinsame Kultur und keine gemeinsame Religion. Es gibt nur etwas, was uns eint: die Verfassung. Und das heisst: den gemeinsamen Willen, zusammen einen Bundesstaat zu bilden. Deshalb wird die Schweiz als Willensnation bezeichnet. Das bedeutet auch: Schweizerisch an der Schweiz sind ihre Institutionen. Neben der Verfassung sind das Bundesrat und Parlament, Gerichte und Gesetze – also genau jene Einrichtungen, auf denen die SVP so gerne herumtrampelt.

Wenn es aber keine Eigenschaft gibt, welche die Schweizerin, den Schweizer auszeichnet, dann kann es auch keine Prüfung darüber geben, ob ein Zuwanderer Schweizer sein kann. Wenn sich die Schweiz selbst als Willensnation ernst nimmt, dann muss es für den Erhalt des Bürgerrechts genügen, wenn ein Zuwanderer sich diesem Willen anschliesst. Das Schweizerische Bürgerrecht zu wollen, wäre also die eigentliche Hürde.

Der Wille als eigentliche Hürde

Menschen, die seit vielen Jahren unbescholten in der Schweiz leben, hier arbeiten und Steuern zahlen, haben den Tatbeweis bereits erbracht, dass sie zur Gemeinschaft gehören wollen. Für ihre Kinder und Enkel gilt das erst recht. Unser Land schneidet sich ins eigene Fleisch, wenn es Menschen, welche die Schweiz so unzweifelhaft ihre Heimat nennen, das Bürgerrecht nicht gewährt.

Die eigentliche Hürde könnte aber der Wille sein. Denn viele Secondos wollen sich gar nicht mehr einbürgern. Das Schweizer Bürgerrecht ist nicht so attraktiv, wie viele Schweizer es sich einbilden – und das müsste uns Sorgen machen, nicht die fiktiven Masseneinbürgerungen.

Wie der Nationalrat Schweizermacher spielt

4 Kommentare zu "Warum für die Einbürgerung der Wille genügen sollte"

  1. Danke, Matthias

    Die SVP versteht in diesen Sachen genau so wenig wie sie von der Demokratie, von Bildung, von Anstand, und von der Wirtschaft , sowie von den meisten Sachfragen, versteht: vergessen wir die Fakten, vergessen wir die Realitäten, wir wollen nach eigenen Gelüsten entscheiden. Man wird mit diesen ewigen Neinsagern nur müde.

    1. Dies klingt in mir beleidigend.
      Keine Partei ist eine homogene Masse. In jeder Partei/Gruppierung gibt es Solche und Solche. In der SP gibt es wunderbare Menschen, die von Wirtschaft einiges verstehen; z.B. Eric Nussbaumer/BL welcher ein kompetenter Fachmann in Energiefragen ist – auch Erneuerbare – und darauf sein Handwerk versteht, oder jene, die von Politik einiges Verstehen wie z.B. ein Alain Berset (BR), welche politisch sauber arbeitet und sein „Laden“ kompetent leitet. Es gibt in der SP aber auch Wichtigtuer und Grossschwätzer…
      Auch in der als oben p a u s c h a l inkompetenter Haufen erwähnten SVP, welche von Wirtschaft, Politik, Bildung keine Ahnung hätte, gibt es wunderbare Menschen, die von Wirtschaft einiges verstehen; z.B. ein Peter Spuhler, welcher die einst grossartige Schweizer Eisenbahnindustrie wieder auferleben lässt und sie in die ganze Welt hinausträgt (neu auch Übersee), oder ein Chr. Blocher, der aus einer maroden Ems-Chemie ein blühendes Unternehmen schuf, welches der grösste Arbeitgeber Graubündens ist und tausenden Familien Lohn und Brot bietet; oder jene, die von Politik einiges verstehen wie z.B. ein Ueli Maurer (BR), der unsere Bundesfinanzen umsichtig führt und der im Finanzdepartement richtiggehend zur Bestform aufläuft. Es gibt in der SVP aber auch Wichtigtuer und Grossschwätzer…
      Dies als Differenzierung zur Pauschalabkanzelung einer demokratischen Partei unseres Landes.
      Zum Thema erleichterte Einbürgerung: Jeder sollte sich (wie immer) ein eigenes Bild über den Sachverhalt bilden. Jedes Ding hat zwei Seiten. Für Pro-Argumente reicht ein Blick auf die Internetseite der SP (sp.ch) oder in fast alle Schweizer Mainstream-Media….
      Für Nein-Argumente reicht ein Blick auf die Internetseite der SVP (svp.ch).
      Ich wünsche Ihnen Differenziertheit im Urteilen, Wählen und im Kommentare verfassen.

  2. Sollte die Schweiz den hier Geborenen, den hier Gebildeten und Ausgebildeten das Bürgerrecht verwehren, wäre dies nicht nur engstirnig, weltfremd und borniert, es wäre auch noch dumm dazu. Ausgerechnet die SVP beklagt ohne Ende die Überalterung unserer Gesellschaft und beschwört damit den baldigen Untergang der AHV. Aber Kindern und Jugendlichen, deren Grosseltern einst einwanderten, eine Heimat zu geben, scheint eine Zumutung zu sein. Es auch für sie lohnenswert erscheinen zu lassen, unsere Sozialwerke als in die Gesellschaft Integrierte mitzutragen, weil wir sie zu uns zählen, scheinen gewisse Holzköpfe nicht zu begreifen .
    Mein Vorschlag: Es forsche doch bitte jedes SVP-Mitglied seiner eigenen Herkunft nach. Würde man die Nachkommen der vor hundert Jahren Eingebürgerten aus der SVP ausschliessen, wäre die Partei vermutlich nicht einmal halb so gross. Vielleicht wäre das konsequent? – Ja, ihr SVP-ler, seid bitte auch streng mit euch selber, schliesst sie aus, eure „falschen“ Mitglieder, wie eure „halben“ Bundesräte, das wäre vielleicht die Lösung für die Schweiz!

  3. Ob aus Angst, Arroganz, Dickköpfigkeit, Dummheit, Engstirnigkeit, Hasenherzigkeit, Kleinmut, Nationalismus, Rassismus, Unwissen, Verblendung, oder weshalb auch immer: Wer zur Öffnung der Schweiz Nein sagt – und dazu gehört auch eine erleichterte Einbürgerung – nimmt unserem Land die Freiheit, die es braucht, um sich souverän und vollwertig als Teil der Welt zu entwickeln. Sich daran zu beteiligen, ist anspruchsvoll. Wer das will und tut, ist für unser Land ein Gewinn!

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