Warum Basel vielleicht gar nicht links ist

Publiziert am 28. Oktober 2016 von Matthias Zehnder

Basel hat gewählt. «Rot-Grün so stark wie nie» titelte die bzBasel und titelte über dem Artikel, der von bürgerlichen Viererticket handelte, mit «#schiffbruch». Selbst die BaZ schrieb etwas säuerlich: «Rot-grün im Wahlglück». Sicher ist: die Bürgerliche Wende findet nicht statt. Die bz kommentierte gar: «Der Aufbruch kommt von links». Doch stimmt das wirklich? Wählt Basel wirklich «links»?

PDF_Button Laut Lehrbuch gibt es drei grundlegende, politische Ideologien: den Liberalismus, den Konservatismus und den Sozialismus. Der Liberalismus ist der Freiheit verpflichtet. Kernanliegen sind die Freiheit gegenüber dem Staat, die Beschränkung politischer Macht und die Selbstregulierung der Wirtschaft. Der Konservativismus hat sich dem Bewahren der bestehenden (oder einer früheren) Gesellschaftsordnung verschrieben und orientiert sich dabei an tradierten Werten. Der Sozialismus schliesslich dreht sich um Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität und will mit Hilfe von Umverteilung eine gerechte, soziale Ordnung herstellen.

So weit, so klar. Schwierig wird es, wenn wir die Basler Parteien und Politiker den drei grossen Strömungen zuordnen wollen und aus diesem Blick die Basler Wahlen kommentieren möchten. Die Etiketten sind zwar klar, bloss treffen sie nicht auf die Parteien zu: Eigentlich müssten die Sozialdemokraten den Sozialismus verkörpern, die SVP den Konservativismus und LDP und FDP den Liberalismus. So einfach ist es aber nicht.

Eva Herzog ist keine Sozialistin

Denn Basels Linke ist nicht so links, wie die BaZ behauptet. Eva Herzog würde wohl nur ein Amerikaner als Sozialistin bezeichnen, der schon die Idee einer obligatorischen Krankenkasse als sozialistisch bezeichnet. Christoph Brutschin ist der Wirtschaft verpflichtet und eher selten mit einer roten Fahne in der Hand auf einer Barrikade anzutreffen und auch Hanspeter Wessels taugt nicht wirklich als Jünger von Marx und Engels. Nein: Die drei SP-Regierungsräte mögen in ihrer Jugend mal in der Wolle gefärbt gewesen sein, Sozialisten im Wortsinn sind sie nicht. Daraus lässt sich folgen: Der Basler Wahlsieg war nicht einfach ein Sieg der sozialistischen Linken. Was aber war er dann?

Umgekehrt ist die SVP nicht einfach konservativ. Das Wort kommt von lateinisch conservare. In weiten Zügen bewahrt die SVP aber gar nicht Traditionen, sondern überhöht sie, ja erfindet sie erst. Man spricht nicht zufällig zuweilen von der Revolution von rechts. Ein Beispiel dafür ist die Überhöhung des Volkes, das aus der Geschichte der Schweiz heraus der absolute Souverän sei. Dabei ist die Volksdemokratie eine vergleichsweise junge Erscheinung. Bei Lichte besehen bestand dieses «Volk» in der Geschichte meistens aus vermögenden Männern, die in einer Zunft Mitglied waren und die richtige Religion hatten. Das gemeine Volk hatte in der Schweiz jahrhundertelang so wenig zu sagen wie in allen anderen Ländern Europas. Nein: Die SVP ist nicht einfach konservativ, sondern so etwas wie revolutionär-reaktionär. Aus dem Wahlergebnis der Basler lässt sich deshalb auch nicht schliessen, dass sich die Basler am letzten Wochenende gegen den Erhalt von Traditionen gestellt haben.

Wie sich die Stadt ausrichtet

Und der Liberalismus? Im Wortsinn wendet sich der Liberalismus gegen jede staatliche Gewalt. Der Politiker, der sich am ehesten einem radikalen Liberalismus verpflichtet sieht, ist wahrscheinlich Baschi Dürr. Dass ausgerechnet dieser erzliberale Politiker das Sicherheitsdepartement führt, also der Chef ist der Staatsgewalt, ist eine Ironie der Ämterverteilung. Vielleicht hatte sich Dürr auch deshalb aus dem Sicherheitsdepartement befreien wollen. Die Basler haben ihn (zumindest noch) nicht wieder in den Regierungsrat gewählt und seiner Partei, der FDP, eine historische Wahlschlappe zugefügt. Haben sich die Basler damit gegen das Liberale ausgesprochen? Natürlich nicht, sonst wäre nicht der Liberale Conradin Cramer bereits im ersten Wahlgang in die Regierung gewählt worden und sonst hätten die Liberalen und ihre LDP nicht einen Erdrutschsieg feiern können.

Wenn Basel aber nicht Sozialisten wählt und nicht Konservative und sich bei den Liberalen widersprüchlich verhält – wie richtet sich die Stadt denn aus?

Ich glaube, der Entscheid vieler Basler läuft anders. Wir denken zu simpel, wenn wir eine Wahl nur als positiven Entscheid werten nach dem Motto: Wer einen SP-Regierungsrat wählt oder eine SP-Liste einlegt, hat die SP auch ausgewählt. Vielleicht ist es auch ein negativer Vorgang: Wer die SP wählt, hat sich gegen alle anderen Parteien entschieden.

Das würde bedeuten: Die Wahlverlierer FDP, SVP und CVP haben zu wenig Wahlgründe und zu viele Abwahlgründe angeboten. Zu viele Menschen haben sich gegen sie entschieden und sind auf eine andere Partei ausgewichen. Ein Grund dafür dürfte, wie bereits dargestellt, die Tatsache sein, dass bei allen drei Parteien die Schweizer Parteipräsidenten in Basel auftauchten und, zum Teil unterstützt von der hiesigen Publizistik, bei ihren Basler Ablegern nach dem Rechten zu schauen versuchten. Das kommt in Basel schlecht an.

Die Stadt als Befreiungsmaschine

Vielleicht steckt aber noch ein inhaltlicher Grund darin: Basel hat sich gegen die Gegner des Liberalismus entschieden, also vor allem gegen die Abschotter und die rückwärts gewandten Antiurbanisten. Das würde bedeuten: Der Wahlentscheid vieler Basler war kein Entscheid für den Sozialismus, sondern ein Anti-Anti-Liberal-Entscheid. Und das liegt in der Natur dessen, was eine Stadt ist und verkörpert. Stadtluft macht frei, das war schon immer so. Früher befreiten die Städte die unfreien, ja teils leibeigenen Landbewohner aus ihren Abhängigkeitsverhältnissen, heute ermöglichen die Städte ein Leben nach persönlichem Geschmack und Einstellungen. Walter Siebel schreibt in seinem Buch Die Kultur der Stadt von der Stadt als Maschine, welche mit ihrem Dienstleistungsangebot die Menschen von Arbeiten und Verpflichtungen befreit und es ihnen ermöglicht, so und das zu sein, was sie möchten und nicht bloss funktionieren zu müssen.

Städte zeichnen sich (auch deshalb) heute aus durch eine grosse Heterogenität in kultureller, ethnischer, religiöser und sozialer Hinsicht. Die Menschen, die in einem so heterogenen Umfeld leben, sind auch bereit, sich auf die Unterschiede in diesen Bereichen einzulassen, also Verschiedenheit zu akzeptieren. Das ist der Grund dafür, warum ausgerechnet in den Städten mit hohem Ausländeranteil die Anti-Migranten-Vorlagen der SVP so tiefe Zustimmungsraten haben. Die Fähigkeit, sich auf Vielfalt einzulassen, war schon im Mittelalter der Erfolgsfaktor der Städte.

Keine geranienbekränzten Bauernhäuser

Deshalb wollen sich die Menschen in einer Stadt wie Basel nicht in geranienbekränzten Bauernhäusern gegen die Zukunft verschanzen. Deshalb weigern sich junge, urbane Menschen, die in ihren Facebook-Timelines und auf ihren Instagram-Accounts in einem Tag mehr von der Welt sehen als Menschen in früheren Generationen in ihrem ganzen Leben, sich ernsthaft für Parteien zu begeistern, welche die Welt aussen vor halten wollen. Wir schätzen die Schweiz, sicher, aber wollen wir uns deshalb darin vergraben?

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Ich glaube deshalb, dass das Wahlresultat vom letzten Sonntag weniger als «Ja» zu links (oder noch extremer: zum Sozialismus) zu lesen ist, sondern als «Nein» zur Abschottung. In einer Stadt haben anti-liberale Kräfte nichts zu suchen, weil die Stadt (jede Stadt) sich durch Diversität und einen grossen Grad an persönlicher Freiheit auszeichnet. Die Basler haben deshalb anti-anti-liberal gewählt.

Kleine Schweiz – was nun?

3 Kommentare zu "Warum Basel vielleicht gar nicht links ist"

  1. Von aussen nehme ich den Kanton Basel-Stadt weder als extrem liberal oder gar sozialistisch wahr, sondern eher als konservativ feudalistisch. Finanziell profitiert Basel selbst für schweizerische Verhältnisse extrem vom Kapitalismus und punkto Ressourcen vom Lebensraum im Umland. Als Anwohner aus dem Dreiland am Oberrhein ärgere ich mich nicht nur Blau sondern auch Grün, wenn ich erlebe, wie unser Zentrum Basel uns rundum in den Vororten beispielsweise mit Autos von Pendlern vollstopft und uns immer noch mehr Flugzeuge über und um die Ohren haut, ohne selber etwas davon abzubekommen. Frei nach dem Motto: Basel hat den Profit und das Umland den Shit.

    1. Diesmal muss ich dem scharfsinnigen U. Keller recht geben. Basel profitiert am meisten vom Hardcore-Kapitalismus. Die wahren Machthaber sind und bleiben Roche und Novartis. Da können die Politiker/Stimmenden noch so „anti-anti-liberale“ Glaubensbekenntnisse an der Wahlurne ablegen.
      Das Wesentliche muss in Basel von der „Chemie“ abgesegnet werden.
      Das ist ja auch das Schizophrene an der (doch vorwiegend) links-grünen Politik: Man predigt Wasser und trinkt Wein. Man macht Quartier-Kompostplätze, welche von Novartis und Konsorten mit ihrem umweltschädigenden Gewinnen finanziert werden. Die Stadt will sich klimaneutral geben, fördert aber den Airport Basel-Mulhouse langsam zum Grossflughafen aus; damit die Chemie-Bosse guten Jet-Verbindungen in die ganze Welt gesichert haben. Man ist in der grünen Partei (Guy Morin), gelangt aber zu dessen Lieblingsdestiantion Bruxelles nicht mit dem Zug sondern mit der Airline (mehrmals). Man quält Detaillisten, bei denen die einfachen Leute einkaufen, mit Parkplatzquoten, bewilligt aber grosszügig Roche am Bahndamm ein neues Parkhaus für ihre Angestellten zu erstellen… und, und, und….
      Wichtig ist:
      Es ist eigentlich Wurst, wer in Basel regiert; solange nur die Geldquellen der Chemie weiter kräftig sprudeln.
      Unsere Basler Politiker, die windschlüpfigen Wesen, werden die nächsten 4 Jahre weiterhin „wie die Ammenbienen um die Bienenkönigin“ herumschwirren, ihre Heiligenverehrung, Liebesdienerei, Devotheit der Gross-Chemie schenken und in nibelungenhafte Unfehlbarkeit um die wahre Macht, die Chemischen Globalplayer, herumtanzen. Das Basler Rathaus, das Wohlfühlkartell, an dessen Türen man dar Rückgrat abgibt, die Stätte eines gläubigen Gottesdienstverein der alles Nachbetet was die Chemie darbietet.
      Die Protagonisten, genannt Politiker, Schönwetterkapitäne allesamt, welche mit gelungener Speichelleckerei, mit Wichtiggetue, (Krösus) und Schalmeiengesang das Wahlvolk bezirzten und so gewählt wurden, auf dass die Hofschranzen im (stets wohlwollend aufgebauten chemisch-gesunden) Basler „Bio“-Hofstaat weiter 4 Jahre gut bezahlt herumweibeln können.
      Besonders an die Adresse der Linken (!) und Grünen(!!): Schizophrener geht’s nimmer. Wie lässt es sich mit so viel Widerspruch als Mensch bloss noch aushalten?

  2. Im wahrsten Sinne des Wortes gibt es wohl die drei grossen politischen Ideologien wohl kaum mehr. Regierungsratswahlen sind Persönlichkeitswahlen. Sachverstand und soziale Kompetenz stehen weit vor der Parteien-Couleur. Eva Herzog, ob links oder Mitte, sie hat ganz einfach einen guten Job gemacht und die Basler wissen das und spüren das.
    Die Idee des 4Tickets war eine Schnapsidee. Der Basler weiss sehr wohl zu unterscheiden zwischen „suglattismus“ und Kompetenz. Dass die bürgelichen auf einen faulen Handel mit der SVP einliessen, ist ihnen zu recht schlecht bekommen. In einer weltoffenen Stadt wie Basel hat eine Partei wie die SVP einfach keinen Platz.

    Zudem hat der Regierungsrat mit dem Grossen Rat (der Executive) ein korrigierendes Gegengewicht. Basel hat gewählt, ja aber einfach vertrauenswürdige Persönlichkeiten.
    Deshalb ist davon auszugehen, dass B.Dürr und Wessels im zweiten Wahlgang reüssieren werden.

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