Jetzt müssen wir in die Lehrer investieren

Publiziert am 7. April 2017 von Matthias Zehnder

Diese Woche haben Schüler in der ganzen Schweiz gegen den Bildungsabbau demonstriert. Ihr Slogan: #KeLoscht – keine Lust auf weiteren Abbau. Dass die Schüler überhaupt demonstrierten, ist geradezu rührend. Sie haben keinen Grund, der Politik in der Schweiz noch Vertrauen entgegenzubringen. Denn für viele Schweizer Politiker ist Bildung bloss ein Kostenfaktor. Dabei gäbe es handfeste Gründe, mehr Geld zu investieren. Und zwar in die Lehrerinnen und Lehrer.

Am Mittwoch Nachmittag gingen in der ganzen Schweiz Hunderte von Schülerinnen und Schülern auf die Strasse: Zeitgleich protestierten sie in Luzern, Aarau, Basel und Genf gegen den Bildungsabbau. Auslöser der Proteste waren die Kürzungen im Bildungsbudget des Kantons Luzern. Weil er Geld sparen muss, schickte der Kanton im letzten Herbst Schüler und Lehrer drei statt zwei Wochen in die Herbstferien und strich den Schulen eine ganze Reihe Angebote. Maturareisen gibt es zum Beispiel keine mehr.

Auch der Kanton Basel-Landschaft kürzt die Bildungsausgaben. Lehrer haben höhere Pensen, Skilager werden gestrichen. Und vor allem will der Kanton die Ausgaben für die Uni drastisch senken. Aus fortgesetztem Kantons-Chauvinismus will der Kanton Basel-Landschaft gleichzeitig die Beiträge an die Universität Basel herunterfahren und ein wichtiges Institut der Uni aus der Stadt herausbrechen und auf die Landschaft holen. Egal, wie sehr das der Uni schadet. Die Schülerinnen und Schüler, die in Basel gegen den Bildungsabbau demonstriert haben, richteten ihren Protest denn auch eigentlich an die Adresse von Liestal.

Die Studenten sind (nicht) schuld

Die Universitäten sind in der Bildungsspardebatte sowieso die Prügelknaben. Gesamtschweizerisch sind die Bildungsausgaben laut «Tages-Anzeiger» nämlich nicht gesunken, sondern in den letzten Jahren stark gestiegen. So rechnet die Zeitung vor, dass sich die öffentlichen Bildungsausgaben in der Schweiz seit 2001 nahezu verdoppelt haben. Als Grund für die allgemeine Kostensteigerung nennt der Tagi die grössere Tertiarisierung der Bildung, also die Tatsache, dass es immer mehr Studierende gibt – und für diese gibt der Staat am meisten aus. Es ist ein Aspekt, der in Internetkommentaren gerne aufgegriffen wird: Es gibt halt zu viele Schtudierte in der Schweiz. Die Unis sind schuld.

Der «Tagi» bezieht sich in seinem Artikel auf Zahlen des Bundesamts für Statistik. Die Zahlen sagen allerdings etwas ganz anderes: Der grösste Teil der öffentlichen Bildungsausgaben (49%) wird für die obligatorische Schule eingesetzt. Ein Viertel der Ausgaben wird für die Tertiärstufe, also die höhere Berufsbildung und für Hochschulen verwendet. Auf die Sekundarstufe II, also die berufliche Grundbildung und allgemeinbildende Schulen, entfallen 17% der öffentlichen Bildungsausgaben. Diese Verteilung der Bildungsausgaben nach Bildungsstufe haben von 1990 bis 2013 wenig geändert, schreibt das Bundesamt für Statistik. Es kann also nicht an einem Trend zur Tertialisierung liegen, wenn die Bildung teurer geworden ist.

Jetzt kommt die digitale Revolution

Vielleicht ist es sogar umgekehrt: Vielleicht ist die Schweiz sogar zu wenig tertialisiert. Viele Erwachsene machen den Kindern und Jugendlichen immer noch vor, man könne einen Beruf lernen und darin pensioniert werden. Handwerk habe goldenen Boden, Pflegeberufe seien sicher und wer nicht weiss, was er werden soll, verbringt sein Leben auf einer Bank. Doch seit Jahrzehnten ist keine Generation mehr so unter Druck gestanden wie die Generation der heutigen Schüler und Studenten. Denn die sicheren Berufe von einst – Bankangestellter und Notar, Maurer, Lokführer und Pflegerin – werden viel schneller bedroht sein, als Sie heute denken. Experten sagen, um eine Grossbank zu betreiben, brauche es eigentlich nur etwa ein Dutzend Menschen. Wir alle verkehren heute vor allem mit Bancomaten und Onlinebanking.

Wir stehen vor einer Automatisierungswelle, die nur mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vergleichbar ist. Der ausschlaggebende Punkt wird dabei sein, dass nicht die Anbieter, sondern die Kunden die Treiber für die Automatisierung sind. Nehmen wir das Beispiel Bankautomat: Die Geld spuckenden Computer haben sich aus zwei Gründen durchgesetzt: Zum einen sind sie besser verfügbar als der Bankschalter, vor allem aber muss der Kunde sich nicht mit einem Menschen abgeben, sich erklären und sich schämen, weil sein Kontostand so niedrig ist.

Die Scham ist der Motor

Ganz ähnlich wird es im Spital sein, wenn die ersten Pflegeroboter kommen: Die werden sich sehr rasch durchsetzen, weil sich die Menschen lieber von einer Maschine als von einem Menschen waschen lassen. Denn vor einer Maschine müssen Sie sich nicht schämen. Scham vor Menschen ist einer der ganz starken Treiber für die Automatisierung. Scham – und Sicherheit. Maschinen sind in vielen Anwendungsbereichen viel sicherer als Menschen, weil sie keine Gefühle und keine Müdigkeit kennen. Deshalb werden Lokführer und Taxifahrer rasch verschwinden und auch Maurer werden es bald schwer haben, weil Roboter einfach präziser arbeiten.

Nein, die Generation der Menschen, die in den nächsten zehn Jahren ins Berufsleben treten wird, ist nicht zu beneiden. Anders, als die SVP behauptet, sind nicht Einwanderer die grosse Konkurrenz, sondern digital gesteuerte Maschinen vulgo Roboter. In dieser Welt der Maschinen hilft den heutigen Schülerinnen und Schülern nur eins: Bildung. Nicht blosse Faktenhuberei. Echte, umfassende Bildung, ergänzt um digitale Fertigkeiten und Computer-Knowhow.

Es sind nicht Kosten, sondern Investitionen

Das Problem ist nur: Viele Politiker reden im Zusammenhang mit der Bildung immer von Bildungskosten. Aus Sicht vieler Politiker verhält es sich mit dem Geld, das Bund, Kantone und Gemeinden für die Bildung ausgeben, also etwa gleich wie mit dem Geld, das sie für Strassenreinigung und Kehrrichtabfuhr ausgeben: es sind Kosten. Ganz anders verhält es sich mit dem Geld, das für Strassenbau ausgegeben wird: Das sind natürlich Investitionen. Jeder Politiker rechnet damit, dass sich eine neue Strasse mit der Zeit auszahlt.

Wenn sie schon Geld für Bildung ausgeben, neigen Politiker deshalb dazu, das Bildungsgeld in Infrastruktur zu investieren. Es ist einfacher, Geld für einen Computerraum und neue Computer zu sprechen als für Lehrerinnen und Lehrer. Erstens geht das Geld ans lokale Gewerbe und zweitens kann man sich bei der Eröffnung des Computerraums so schön fotografieren lassen.

Technik als Thema täte not

Deshalb läuft es in der Schweiz grad verkehrt: Es wird zu viel Geld in Technik als Mittel investiert und zu wenig in Technik als Thema. Es stehen viele Geräte in teuren Schulhäusern, aber das Geld fehlt für die Weiterbildung und die Besoldung der Lehrer. Die Folge: Enttäuschte Lehrerinnen und Lehrer, frustrierte Schülerinnen und Schüler – und die grosse Herausforderung der nächsten Jahre, die Digitalisierung, spielt als Thema kaum eine Rolle.

Das ist nicht nur schlecht für all jene Schülerinnen und Schüler, die einen Beruf erlernen, in dem sie bald Bekanntschaft mit Robotern machen, es ist auch schlecht für die Schweiz. Die Branchenorganisation ICT-Berufsbildung Schweiz prognostiziert, dass der Schweiz bis ins Jahr 2024 rund 25000 Informatik-Fachkräfte fehlen werden. Es wäre also an der Zeit, dass gut ausgebildete Lehrkräfte unsere Jugendlichen auf den digtalen Pfad führen. Und ich meine damit nicht, dass sie mit den Schülern ein paar nette Computerspiele machen, sondern Mathe, Logik und Programmiersprachen büffeln. Kurz: Die #KeLoscht-Protester haben absolut recht. Es braucht Geld für die Bildung –vor allem für die Menschen im Bildungswesen.

3 Kommentare zu "Jetzt müssen wir in die Lehrer investieren"

  1. In den letzten 20 Jahren ist in der Tat immer noch mehr in den Schulbetrieb investiert worden. Leider dabei vor allem in eine genuin bildungsfeindliche Gleichmacherei. Mit technokratisch und oberflächlich angesetzten Reformen. Sie haben einen grossem Aufwand und zunehmend Leerlauf und Verschleiss erzeugt. Weil so dem vielfältig bestehenden Bedarf nicht entsprochen werden kann. Dafür ist bei der Bildung Innovation und Transformation gefragt. Vor allem auch im Hinblick auf ein lebenslanges Lernen für alle. Laut UNESCO SCHWEIZ verfügen nämlich rund 16 Prozent – also 800’000 – der über 15jährigen Menschen, die in der Schweiz wohnen, nicht über die formalen Grundkompetenzen, die es braucht, um in unserem Land als Erwachsene konstruktiv Erfolg zu erleben. Es sind nicht nur Zugewanderte. Auch viele sogenannte Hiesige. Sie haben die Schulpflicht zwar erfüllt, können aber keine Texte wirklich verstehen. Ungenügend sind oft auch ihre mathematischen Fertigkeiten. Lehrpersonen sind und bleiben entscheidend wichtig. Mittel, von denen vor allem die Bau- und die Verwaltungswirtschaft profitieren, sind für die Bildung nur wenig wirksam.

  2. Leider sind überall an den Schaltstellen der Erziehungsbehörden völlig inkompetente Leute eingesetzt. Dies zeigt der jetzt schon veraltete Lehrplan 21, eine absolute Fehlkonstruktion. Von oben herab werden Dinge verlangt, von denen die Beamten die den Plan zusammengebastelt haben, selbst ebenso wenig Ahnung haben wie die die zuständigen Erziehungsdirektoren und die Direktoren der Päd. Fachhochschulen, die bestenfalls Alt-Akademiker sind. In solchen Fächern völlig unausgebildete Lehrer sollen nun aus dem Stand Informatik unterrichten.

  3. Investieren in Bildung = Ja, das tönt gut, welcher halbwegs normal denkende Mensch könnte etwas dagegen haben. Nur muss man in diesem Metier genau hinschauen, das die Mittel nicht uneffizient versickern. Es gibt in diesem Bereich ganz viele „Mitesser“ und „Profiteure“, von den unsäglichen allgegenwärtigen „Berater“ über fragwürdige Therapeuten (-„Industrie“) und unnötigem Verwaltungs-„Wasserkopf“. Dass das Geld auch zu denen kommt, die tatsächlich an der „Front“ stehen und z.T. profane Dinge wie zuwenig Buntstifte haben, auf abgewetztem Uralt-Stuhlwerk sitzen usw. usw… Dies ist in dieser Disziplin die grosse Herausforderung und schwieriger zu überschauen als z.B. in einer 3-Frau-Wäschereinigung.
    Noch kurz ein Replik auf den wöchentlichen SVP-Seitehieb der diese Woche da lautet: „Anders, als die SVP behauptet, sind nicht Einwanderer die grosse Konkurrenz…“ Dazu: Das Umfeld dieses Bloges besteht aus „Intellektuell-Liberalen „- Kreisen (Selbstdeklaration in einer früheren Wochenschrift). Tatsächlich besteht in diesen Kreisen keine grosse Konkurrenz im beruflichen Bereichen: Ein städtischer Denkmalpfleger, ein Richter, ja ein Regierungsrat ist weniger der internationalen Konkurrenz und dem Lohndruck ausgesetzt, wie (und dies deutet die SVP richtig) als die Verkäuferin, der Elektriker, der Sanitär. (denn dort greifen auch die flankierenden harmlos-lachnummern Massnahmen nimmer.) Bsp.: Ein einfacher Schweizer, wohnhaft in Basel, wollte von der unsicheren Nestle-Fabrik-Stelle zur sicheren städtischen Kehrrichtabfuhr in Basel wechseln. Trotz unzähligen Bewerbungen, Empfehlungen, Referenzen erhielt er mehrere male eine Absage. Es werden strikte Einwanderer, Aufgenommene und konsequent Menschen ohne Schweizer Pass eingestellt. Begründung: keine. Konsequenz: Der Betroffene und sein Kollege, welche mir diese wahre Story zu Ohren brachte, sind von SP-Wählern zu strammen SVP-Stimmenden mutiert. Ganz ohne „düstere Beeinflussung“, „dunkler schwarze-Schafe-Werbung“ und „finstere Steuerung aus Herrliberg“; die Realität im MITTELSTAND 2017 ist „Werbung“ genug; ganz einfach. Traurige Wirtschaft, noch traurigere Staatsbehörden.
    Abschliessend zurück zum Hauptthema: Der Bildung Sorge tragen, mit richtiggeleiteten Finanzen, Anerkennung und Respekt. Hören was die Gesellschaft braucht, die Lehrer wollen, und nicht zuletzt auch was die Schüler wollen.
    Hmm, was wollen die denn heute wohl zum Frühlingsferien-Beginn?:
    S c h u l f e r i e n .

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