Das Volk und die Bildungselite – eine gestörte Beziehung

Publiziert am 18. November 2016 von Matthias Zehnder

Die Eliten sind selbst schuld: Sie haben den Kontakt zum Volk verloren. Das war der Tenor vieler Kommentare nach der Wahl von Donald Trump. Zu diesen bösen Eliten gehören auch die Journalisten. Sie seien einseitig links und hätten Trump zu Unrecht verteufelt. Es sei deshalb Zeit, dass die Eliten umkehren und dem «Volk» zuhören. Alles falsch. Wenn wir etwas stärken müssen, dann die Bildungselite. Und wenn jemand zuhören sollte, dann das «Volk». Und die Politiker.

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Seit der Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten geht es «den Eliten» an den Kragen. Sie werden als arrogant und abgehoben bezeichnet (etwa von Roger Köppel im Editorial der «Weltwoche»). Die angesprochene «Elite» geisselt sich selbst und will sich schämen. So schrieb es etwa Stanford-Professor Hans Ulrich Gumbrecht. An allem sind aber vor allem die Journalisten schuld: Die altlinken Mainstream-Medien versagten kolossal (Köppel). Markus Somm schreibt sogar von der Sekte der Journalisten: Wer zum Milieu der Journalisten gehören wolle, sei eben links und damit für die Immigration, deshalb habe sich dieser Beruf mit den amerikanischen Wahlen selbst abgeschafft.

Nun gehört Eliten-Bashing zur Grundausstattung populistischer Politik (und Publizistik). So gesehen könnte man die Häme, die über die arrogante Elite und das verkalkte Establishment (Köppel) kübelweise ausgeschüttet werden, mit einem Achselzucken abtun. Weil Professoren wie Hans Ulrich Gumbrecht sich in Selbstgeisselung üben und die «Eliten» dazu aufrufen, sich zu schämen und weil breite Medienkreise in die Mär von der bösen «Elite» und der abgehobenen Journallie einstimmen, ist es doch angebracht, darüber etwas genauer nachzudenken.

Böse «Elite», gutes «Volk»

Laut populistischer Lesart hat sich die böse «Elite» gegen das gute «Volk» gestellt und das Volk hat sich durchgesetzt: Das Volk hat seiner «Elite» den Mittelfinger gezeigt. Stellt sich die Frage: Wer ist diese «Elite», die zum Schimpfort geworden ist? Denn eigentlich meint das Wort ja neutral «Auslese» im Sinne von «die Besten». Elite-Sportler sind in ihrer Sportart jeweils die führenden Sportler.

Nun: Wenn Donald Trump oder Christoph Blocher die Erlöser sind, kann es nicht um die Geldelite gehen. Die beiden Milliardäre gehören definitiv zur Geldelite, und zwar nicht nur in ihren Ländern. Es ist und bleibt mir schleierhaft, warum sich Arbeiter von einem Milliardär besser vertreten fühlen. Um welche «Elite» also geht es und warum ist das Wort «Elite» zum Schimpfwort geworden? In den USA ist von den liberalen Professoren und Journalisten an der Ostküste und von der Tech-Branche an der Westküste die Rede. Bei uns sind es wohl die liberalen Professoren, Journalisten und Techies in den Städten. Was wird ihnen genau vorgeworfen? Dass sie arrogant seien, dass sie die Sorgen der Menschen auf dem Land nicht kennen, dass sie meinen, sie hätten die Wahrheit gepachtet. Was ist dran?

Die Bildungselite gibt es – hoffentlich

Zunächst: Mit «Elite» bezeichnen die Kritiker von Rechts vor allem die Bildungselite, also die bezüglich Bildung obersten 10 oder 15 Prozent der Gesellschaft. Diese «Elite» gibt es tatsächlich. Man könnte anfügen: Hoffentlich gibt es sie. Wer sonst könnte die Gesellschaft, die Wirtschaft weiterbringen, wenn nicht die am besten ausgebildeten und intelligentesten Köpfe? Wer sonst sollte an Universitäten und Hochschulen forschen und unterrichten?

Die rechten Publizisten werfen also dieser Bildungselite vor, sie sei arrogant und verachte das «Volk» und Donald Trump. Was soll man nun davon halten, wenn diese «Bildungselite» anderer Meinung ist als das «Volk»? Warum sollen Professoren in zentralen Fragen auf das «Volk» hören, wenn sie es objektiv besser wissen? Ich denke zum Beispiel an Themen wie die Klimaerwärmung, an Fragen der Gesundheit und Medizin – oder an die teils kruden Vorstellungen, die Donald Trump im Wahlkampf geäussert hat. Was genau machen Köppel oder Somm der «Bildungselite» zum Vorwurf, wenn sie ihr Arroganz vorwerfen? Ist es nicht eher so, dass das «Volk» arrogant ist, wenn es so komplexe Sachzusammenhänge wie Atomsicherheit oder Klimaschutz aus dem Bauch heraus beurteilen will? Warum soll ich bezüglich Umweltverschmutzung eher auf einen Lastwagenchauffeur aus dem Mittleren Westen oder der Innerschweiz hören, als auf einen Professor aus New York oder aus Basel?

Zu sehr auf Masse und Mehrheit ausgerichtet

Wir haben im Gegenteil das Problem, dass unsere Demokratien zu sehr auf Masse und Mehrheit ausgerichtet sind und dazu tendieren, die Wissenschaft mit denselben Massstäben zu messen wie die Politik. Das ist gefährlich. Politiker sind auf Kompromisse getrimmt. Zum Beispiel auf Kompromisse zwischen den Wünschen der Wirtschaft und den Wünschen der Umweltlobby. Sie vergessen dabei gerne, dass ein Atomreaktor keine Kompromisse macht. Dass die Klimaerwärmung sich nicht an Interessenausgleiche hält. Auch wenn wir eine Demokratie sind: Mit einer Abstimmung findet man nicht die Wahrheit, sondern nur die Mehrheit.

Nein, dass die Rechte dermassen über die Bildungselite herzieht, hat vielleicht einfach damit zu tun, dass diese Bildungselite in vielen Punkten recht hat. Wir können es uns nicht mehr leisten, unsere Umwelt weiter zu verschmutzen. Die Wirtschaft braucht eine relativ grosse Zuwanderung. Atomenergie bleibt sehr gefährlich. Rauchen ist tödlich, zu viel Zucker ebenso. Unangenehme Wahrheiten, die man mit einer Abstimmung nicht aus der Welt bringt.

Dem Volk aufs Maul schauen, nicht nach dem Maul reden

Wenn wir der «Bildungselite», also den Wissenschaftlern und den Universitäten, einen Vorwurf machen können, dann den der Unverständlichkeit. Sie sollen sich nicht nach dem «Volk» richten, aber so reden, dass sie von der Mehrheit verstanden werden. Darin liegt allenfalls die Arroganz der «Bildungselite»: Sie ist nicht arrogant, weil sie eine andere Meinung hat als das Volk, sondern weil sie diese Meinung nicht verständlich ausdrückt. Man könnte es, so kurz vor dem Lutherjahr, mit Luther vergleichen: Luther hat dem Volk aufs Maul geschaut aber dem Volk nicht nach dem Maul geredet. Er hat also so geredet (und vor allem geschrieben), dass ihn möglichst viele Menschen verstanden, er hat aber keineswegs einfach das gesagt, was diese Menschen von ihm erwarteten. Er war verständlich, aber unbequem.

Das gilt auch und gerade für unsere Universitäten. Die Universität Basel muss sich nicht nach dem Volk richten, sie muss sich aber dem Volk gegenüber erklären. Im Kanton Basel-Landschaft sehen offenbar viele Bürgerliche nicht mehr ein, warum eine Universität zum Beispiel Geisteswissenschaften anbietet. Das könnte auch daran liegen, dass diese Wissenschaften ihre Erkenntnisse zu wenig mit der Gesellschaft teilen.

Das Land dominiert die Städte

Es gibt noch einen Grund dafür, dass den wesentlichen Punkt verpasst, wer sich nach den Wahlen in den USA auf den Konflikt zwischen «Volk» und «Elite» konzentriert. Denn Donald Trump hat zwar die Wahlen gewonnen, aber nicht die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler. Das liegt am amerikanischen Wahlsystem: Wer mehr Elektorenstimmen hat, wird Präsident. Jeder Gliedstaat hat so viele Elektoren, wie er Abgeordnete hat, also mindestens drei. Das führt dazu, dass bevölkerungsarme Staaten überrepräsentiert sind. Weil Donald Trump vor allem auf dem Land gewählt worden ist, hat er zwar mehr Elektoren auf sich vereinigt, aber er hat deutlich weniger Stimmen erhalten als Hillary Clinton. Laut CNN sind es über ein Prozent weniger: Trump hat 61 Millionen Stimmen erhalten, das sind etwa 47%, Hillary Clinton hat 62,1 Millionen Stimmen erhalten, das sind 48%.

Es ist also keineswegs so, dass die «Eliten» und die Medien den Kontakt zur Mehrheit des Landes verloren haben – sie haben bloss den Kontakt zu den ländlichen Gebieten verloren. Und dieses Muster kennen wir in der Schweiz nur allzu gut: Auch bei uns stehen progressive, liberale Städte gegen ein konservatives Land und auch bei uns sind die ländlichen Gebiete strukturell bevorteilt. Die städtischen Zentren sind zwar die Wirtschaftsmotoren des Landes und finanzieren über den Finanzausgleich die ländlichen Gebiete, die ländlichen Kantone haben jedoch mehr Ständeräte und sie verfügen über das Ständemehr bei Abstimmungen über ein wirksames Mittel, die Städte auszubremsen. Es könnte bereits am nächsten Sonntag bei der Abstimmung über die Atomausstiegsinitiative das nächste Mal dazu kommen, dass sich die ländlichen Gebiete per Ständemehr gegenüber der Mehrheit in den Städten durchsetzt.

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So oder so: In einer Demokratie mag die Mehrheit bestimmen, das heisst noch nicht, dass sie recht hat. Gerade in der Schweiz stünde es uns wohl an, wenn wir etwas mehr auf die geschmähte Bildungselite hören würden.

Warum Populisten die Demokratie zu Grabe tragen

6 Kommentare zu "Das Volk und die Bildungselite – eine gestörte Beziehung"

  1. Ich denke, mit solchen Wochenkommentaren wie dem heutigen fördern Sie, wahrscheinlich unbewusst, die „gestörte Beziehung“ (Titel).
    Ihre Zeilen, so empfinde ich es, klingen für viele, welche sich nicht so gut schriftlich ausdrücken können – sorry – eher arrogant.
    Die Bevölkerung, u.a. auch die 59´470´669 Wählenden in den USA, welche D. Trump die Stimme gaben, weil sie dies so wollten, lässt man klar spüren, dass die Mehrheit der grossen Journalisten sich fraglos zur „Bildungselite“ zählen, währenddessen die kleinen Lesenden „nicht draus“ kommen und vor allem „Konsumenten“ und „Zahlende“ sein zu haben.
    Es klingt in meinen Ohren einfach schal, wenn wie bei Ihrem vorletzten Artikel mit dem Titel “ Trump ist Präsident – wie sagen wir das bloss unseren Kindern?“ Zeilen wie „…Donald Trump steht für so ziemlich alles, was ich verabscheue: (…) Anti-Intelligenz, Anti-Bildung……“ zu lesen sind.
    Was kann denn ihr Leser, ein attestlernender Reifenpraktiker dafür, dass er in seiner Kleinklassenzeit kaum nach kam (=Anti-Intelligenz)? Was kann denn ihr Leser, ein italienischer Einwanderer aus Sizilien dafür, dass er nur 5 Jahre Schulbildung genoss (=Anti-Bildung)?
    Das (und auch viele Zeitungen) tönt für mich (und nicht nur für mich) im Umkehrschluss klar nach: …meine Sichtweise=gescheit/gut/gebildet; andere Ansichten=doof/schlecht/ungebildet.
    Auf eine sensible Weise stellen solche Äusserungen eine subtile Überheblichkeit dar, welche nicht sein müsste. Wähler die das nicht goutieren werden oftmals vorschnell als „tumbe Populistenopfer“ hingestellt, die wenigen Medienschaffenden (bei uns in Basel zum Beispiel M. Somm oder schweizweit R. Köppel), welche bemerkt haben, dass diese abgehobene Art auf Dauer den gegenteiligen Effekt erzeugt, vorschnell als „Rattenfänger“ abgetan.
    Dass Illustrierten- +Zeitungsnutzungszahlen sinken, erstaunt nicht. Wenn hochdekorierte Journalisten und Verleger wie ein Jakob Augstein vom deutschen „Spiegel“ ernsthaft schreibt (Zitat): „…Trumps Sprache, seine Frisur, seine Gesten, der ganze Mann – eine lächerliche Figur… Donald Trumps Sieg bedeutet das Ende des Westens. Ein neuer Faschismus kommt an die Macht, weil in ihm die „dunkle Kraft“ steckt“, wenn Spiegel-Augstein vom „Trump des Willens“ schreibt und damit hinterlistig ein schiefes Sprachbild benutzt, mit dem er Assoziationen zum Nazi-Propagandafilm „Triumph des Willens“ über den Reichsparteitag der NSDAP von 1934 herstellen will, merkt er nicht, wie er mit solchen unsinnigen Zeilen gerade daran ist, sich selbst und sein Blatt/die Medien abzuschaffen.

  2. Eliten mögen als die Besten gelten. Gut müssen sie deshalb nicht sein. Es gibt auch ganz schlechte Beste. So beispielsweise Politikerinnen und Politiker, die sich mit Filz, Geld und Schnorritum hochgeschraubt haben, dabei aber faktenfrei keine Ahnung von keiner Sache haben und vor allem Macht ausüben, sowie ihren Narzissmus ausleben wollen. Oder Plutokratinnen und Plutokraten, die es verstehen, ihre «Immer-noch-mehr-Gier» als uruneigennützige Dienstleistung an der Allgemeinheit zu tarnen, diese aber in Schuldenlöcher treiben, wenn die Folgen ihrer Misswirtschaft nach dem Prinzip «too big to fail» auszubaden sind. Oder hoch dotierte Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die bereit sind, für noch mehr Status die Seele der Wahrheit zu verkaufen, indem sie Ergebnisse präsentieren, die zwar kompliziert verstehbar stimmen, aber nicht klar und unverblümt alles Wichtige sagen. Oder Journalistinnen und Journalisten, die mit megageiler Schreibe für Eliten den Steigbügel halten, und dabei bereit sind, sich selber von jedem Teufel reiten zu lassen. Gehören vielleicht diese schlechten Besten alle zur Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft?

  3. Zuerst: Herzlichen Dank für diesen einfach zu lesenden Kommentar. Herr Zehnder hat es geschafft in einer Alltagssprache die Situation zu skizzieren. Der Schluss, dass Mehrheit nicht gleich bedeutend ist mit DER Wahrheit, ist offensichtlich. Das Anbiedern der stinkreichen Populisten (Blocher, Orban, Trump z.B.) mit dem „einfachen Volk“ ist peinlich und soll die Bildungselite – oder/und anders gesagt – die denkenden Mitmenschen auf den Plan rufen. Wir können uns mit Menschen mit Bildung und/oder Intelligenz den Klimawandel-Negierern und biederen Wurst-und-Brot-Nationalisten entgegen treten, aber wir müssen es auch tun und das mit Überzeugung und Engagement. Ich bin ein „gschtudierter“ Sozialdemokrat und ich darf sagen, dass ich hochintellegente, vielleicht aber bildungsschwache Frauen und Männern erleben durfte, die die Machtspiele der selbsternannten Volkselite längst durchschaut haben. Es liegt an uns komplexe Problemstellungen mit einfachen Worten und Modellen zu erklären.

  4. Das Problem der heutigen Demokratie ist doch, dass sie auf jahrhundertealten Strukturen (Electoral College, Ständemehr etc.) beruht, welche längtens generalüberholt gehören. Es bräuchte Mut auch dieses Thema einmal anzusprechen, sonst werden wir uns noch sehr lange Zeit im Kreis drehen, ohne vorwärts zu kommen.

  5. Wie kann man Eliten von Populisten, gekauften Politikern und Journalisten unterscheiden? Wie viel „Elite“ braucht es, das eine vom anderen zu unterscheiden? Ich versuche in Situationen, in denen man selbst überfordert ist, mich an vertrauensvolle Eliten anzuknüpfen. Das ist auf den ersten Blick nicht einfach, doch geben einem Erfahrungswerte, die man mit der Zeit sammelt und Persönlichkeiten, denen man vertraut gute und richtige Hinweise. Aus dem Bauchherausentscheide erübrigen sich dann. Sicher hilft ein Kommentar von Thomas Zweidler nicht weiter.

  6. so lange die bildungselite noch nicht mal die „philosophie der freiheit“ kennt – dadurch nicht das mittel besitzt ihr „eigenes“ denken kritisch zu betrachten – kann es mit ihr nicht weit her sein … von dem volk könnte mensch das selbe behaupten!

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