Buchtipps April 2016
Generation Erdogan: Die Türkei – ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert
Buchtipp zum Wochenkommentar vom 1. April 2016 Macht und Medien: Wie türkisch ist die Schweiz?
Recep Tayyip Erdoğan war von 2003 bis 2014 Ministerpräsident der Türkei, seither ist er Staatspräsident. Die Journalistin Çiğdem Akyol spricht deshalb von der Generation Erdoğan, eine ganze Generation kennt die Türkei nur unter der Regierung der AKP. Generation Erdoğan: Die Türkei – ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert heisst denn auch das Buch, das Akyol über die Türkei geschrieben hat. Es ist, erstaunlich genug, die einzige aktuelle Auseinandersetzung mit der Türkei und ihrem Präsidenten in Buchform. Akyol beleuchtet darin die Geschichte der Türkei seit Gründung der Republik 1923 und die Entwicklung von Erdoğan vom Strassenkind zum Staatspräsidenten. In eigenen Kapiteln beschäftigt sie sich mit der AKP, der Opposition, dem Militär, der Justiz, der Wirtschaft, dem Glauben, der Rolle der Frauen und immer wieder mit den Medien. Das Buch stellt kaum Thesen auf und Akyol macht auch keine Voraussagen über die Zukunft. Sie bietet aber einen soliden Überblick über die aktuellen Probleme der Türkei. Angesichts der Bedeutung, die das Land derzeit für Europa hat, ist dieses Buch ein must read.
Cigdem Akyol: Generation Erdoğan: Die Türkei – ein zerrissenes Land im 21. Jahrhundert. Kremayr & Scheriau, ISBN 978-3-218-00969-0
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Reformbedürftige Volksinitiative
Buchtipp zum Wochenkommentar vom 8. April 2016 Ein Handschlag, Boulevardmedien und Boulevardpolitik
Die Debatte um den verweigerten Handschlag in Therwil erinnert stark an die Debatte über Minarette oder über die Burka: Bei Lichte betrachtet geht es um Symbole und um Symbolpolituik. Wie erfolgreich Symbolpolitik ist, zeigen die vielen symbolischen Volksinitiativen der letzten Jahre. Dieser Tage ist ein Buch erschienen, das sich kritisch mit dem Instrument der Volksinitiative in der Schweiz auseinandersetzt: Reformbedürftige Volksinitiative. Verbesserungsvorschläge und Gegenargumente heisst es, herausgegeben hat es der Basler Historiker Georg Kreis. Autoren wie Christine Egerszegi, Andreas Gross, Giusep Nay, Daniel Thürer und andere diskutieren Fragen wie: Muss das 1891 eingeführte Mitspracherecht des Volkes mit zusätzlichen Bestimmungen versehen werden? Sind die Verfassungsgrundsätze durch populistische Volksbegehren gefährdet? Das Buch vertieft damit eine politische Debatte, die ebenso aktuell wie akut ist.
Georg Kreis (Hrsg): Reformbedürftige Volksinitiative. Verbesserungsvorschläge und Gegenargumente. NZZ libro, 160 Seiten, ISBN 978-3-03810-155-0
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Satire ist nur ein Affe im Hirn
Buchtipp zum Wochenkommentar vom 15. April 2016 Was darf Satire? Vom Unterschied zwischen Freiheit und Geschmack
Ein Gedicht hält Deutschland in Atem. Jan Böhmermanns Schmähgedicht auf Recep Tayyip Erdoğan ist keine gute Lyrik und stellt dennoch eine wichtige Frage: Was ist sie wert, die Freiheit von Kunst und Medien in Deutschland, ja in Europa überhaupt? Wir können uns anschliessen: Was ist mit der Schweiz? Wieviel Kunst- und Medienfreiheit verträgt unser Land? Henning Venske weiss, wovon er schreibt, wenn er sich der Satire widmet: Er gilt als meistgefeuerter Satiriker Deutschlands. Sein Buch Satire ist nur ein Affe im Hirn hat es in sich und führt dazu, dass auch der wohlgenährte Konsument vermeintlich freier Medien ins Grübeln gerät. Mit Satire bekämpfen sich von Anfang an Glaubenssysteme, Weltanschauungen und soziale Klassen, schreibt Venske. Satire ist Opposition, Satire ist Notwehr, Satire ist eine Waffe. Satire widersetzt sich jedem Zwang, jeder Machtausübung, den Hierarchien und vor allem der Dummheit. Kann man wohl mit Blick auf Deutschland (und auch auf die Schweiz) sagen.
Henning Venske: Satire ist nur ein Affe im Hirn. Westend Verlag, 176 Seiten
ISBN 978-3-86489-117-5
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Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet
Buchtipp zum Wochenkommentar vom 22. April 2016 Westliche Werte gelten nur für Buben, nicht für Waffenhändler
Der Aufruhr über die beiden Therwiler Buben, die ihrer Lehrerin die Hand nicht geben wollten, hat mehrfach die Titelseiten der Zeitungen gefüllt: Mannhaft wehrten sich Schweizer Bürger dagegen, dass zwei muslimische Buben die westlichen Werte missachten. Problematisiert wurde dabei auch eine Moschee mit Saudi-Arabischem Hintergrund. Diese Woche hat der Bundesrat das Embargo für Waffenexporte in den Nahen Osten teilweise aufgehoben und Waffenexporte in Länder wie Saudi-Arabien im Umfang von 178 Millionen Franken bewilligt. Von Werten war dabei nicht die Rede.
Der Verkauf von Waffen nach Saudi-Arabien (und andere Länder des Nahen Ostens)
folgt einer Logik, die seit vielen Jahren gilt: Der Westen richtet seine Nahost-Politik nur nach kurzfristigem Eigennutzen aus. Mit katastrophalen Folgen. In seinem Buch Wer den Wind sät beschreibt Michael Lüders die westlichen Interventionen im Nahen und Mittleren Osten seit der Kolonialzeit und erklärt, was sie mit der aktuellen politischen Situation zu tun haben. Das Buch setzt mit dem von CIA und MI6 eingefädelten Sturz des demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mossadegh im Jahr 1953 ein. Für Lüders ist das eine Art Ursünde der Nahost-Politik. Es folgen der Irakkrieg von 2003 und die westliche Politik gegenüber Assad in Syrien. Die direkte Folge davon ist das Entstehen der Terrorgruppe «IS». Lüders Schwarzbuch der westlichen Politik im Orient führt uns vor Augen, wie weit es mit den westlichen Werten her ist und welche katastrophalen Folgen eine auf kurzfristigen Eigennutz ausgerichtete Politik hat.
Michael Lüders: Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet. Verlag C.H. Beck, 175 Seiten ISBN 978-3-406-67749-6
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Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung
Buchtipp zum Wochenkommentar vom 29. April 2016 Provinzialität und Beleidigtheit als Zeichen der Schweiz
Der Titel dieses Buchs von Hartmut Rosa klingt, zugegebenermassen, etwas abstrakt: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Das Buch ist jedoch weit lesbarer (und nützlicher), als es auf den ersten Blick den Anschein macht. Ein zentraler Satz von Hartmut Rosa lautet: Das Leben aber gelingt … nicht per se dann, wenn wir reich an Ressourcen und Optionen sind, sondern, so banal, ja tautologisch dies zunächst klingen mag: wenn wir es lieben. Wenn wir das Leben lieben, entsteht so etwas wie ein vibrierender Draht zwischen uns und der Welt. Dieses Verhältnis zur Welt nennt Rosa Resonanz. Anders gesagt: Wenn Beschleunigung das Problem dieser Welt ist, dann ist nicht Entschleunigung die Lösung, sondern höchstens eine angemessene Reaktion. Die Lösung auf das Problem der Beschleunigung ist nach Hartmut Rosa Resonanz.
Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp, 816 Seiten, ISBN 978-3-518-58626-6
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